Roee Rosen

Roee Rosen, The Dust Channel (2016), Digitalvideo, Farbe, Ton, 23 min

Roee Rosen, Live und Die as Eva Braun, 1995–97, verschiedene Materilien auf Papier, Installationsansicht, Benaki Museum—Annex Pireos-Strasse, Athen, documenta 14, Foto: Stathis Mamalakis

Roee Rosen, The Dust Channel, 2016, Digitalvideo, Installationsansicht, Palais Bellevue, Kassel, documenta 14, Foto: Daniel Wimmer

Roee Rosen – Maler, Autor und Filmemacher – ist ein scharfsinniger israelischer Kritiker, dessen Arbeiten sich hauptsächlich mit der Darstellung von Begehren und struktureller Gewalt auseinandersetzen. 1963 geboren, hat er ein künstlerisches Universum geschaffen, das die normativen Auswirkungen von Identitäten und Identifikationen auf boshafte Weise unterläuft und dabei auf Fiktionalisierungen, Ironie und Überprüfung zurückgreift. In unzähligen Abwandlungen verknüpft er meist aktuelle politische Entwicklungen in Israel und auf der ganzen Welt mit mythischen und politischen Bezügen zur europäischen und jüdischen Geschichte. Ein großes Spektrum an fiktiven Figuren und ikonografischen Motiven und Chiffren ermöglicht es dem Künstler nicht nur, immer wieder auf den Kanon der historischen Avantgarde zu verweisen und diesen abzuwandeln. Auch mit der Verletzung von Normen spielende Traditionen – vom Marquis de Sade bis Georges Bataille – sowie populäre Medien, politische Propaganda und klassische Kindermärchen werden von Rosen entsprechend eingesetzt.

Live and Die as Eva Braun, Rosens bahnbrechendes Installations- und Buchprojekt (1995–97), zwingt den Betrachter, sich mit Hitlers Geliebter zu identifizieren, ja, sich in Eva Braun zu verwandeln. Das zur Arbeit gehörende Skript stellt die Parameter akzeptierter Geschichten auf den Kopf und verleiht der Absurdität und Obszönität des für unaussprechlich Gehaltenen eine Stimme. Stringent als Text, delirierend und halluzinierend auf malerischer Ebene, stellt das Werk insgesamt einen raffinierten und provokanten Metakommentar zur Politik der Erinnerung und Identitätsbildung dar, insbesondere im Hinblick auf den Gebrauch beziehungsweise Missbrauch des Holocaust im modernen Israel.

Rosens jüngste Arbeiten sind dem fiktiven russisch-jüdischen Emigranten Efim Poplavsky (1978–2011) gewidmet, auch unter dem Pseudonym Maxim Komar-Myshkin bekannt. Wie bereits in früheren Projekten – man denke nur an die aus Belgien stammende Surrealistin Justine Frank – hat Rosen auch hier einen Lebenslauf und ein Lebenswerk erfunden, gekennzeichnet durch die akute Paranoia eines tief in die russische Geschichte und Politik verstrickten Künstlers (vor allem im Hinblick auf die Figur Wladimir Putins). Rosens neuer Film The Dust Channel (2016) stellt das letzte Kapitel der Serie dar, die sich Komar-Myshkins Werk annimmt: eine Operette mit russischem Libretto, die in der häuslichen Umgebung einer bürgerlichen israelischen Familie spielt. Deren Angst vor Schmutz, Staub und jedweder fremden Präsenz in ihrem Zuhause findet ihren Ausdruck in einer pervertierten Liebe zu Reinigungsgeräten. Rosen assoziiert Staub im übertragenen Sinn mit Sand, Die Wüste verweist indirekt auf bestimmte, aktuelle Formen der Fremdenfeindlichkeit: Das Internierungslager, in dem staatlich nicht anerkannte politische Flüchtlinge auf lange Zeit festgehalten werden, liegt in der israelischen Wüste und trägt den Namen „Holot“, was auf Hebräisch „Sand“ bedeutet.

— Hila Peleg

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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