Maria Eichhorn

Maria Eichhorn erwartet mich am Eingang ihres Ateliers. Wir betreten ein geräumiges, nüchternes und akribisch aufgeräumtes Loft, dessen kühle Industriearchitektur durch japanische Designelemente abgemildert wird. Während Maria Tee serviert, plaudern wir in herzlicher Atmosphäre und tauschen Grüße aus.

Ich erkläre, dass ich von den Veranstalter_innen der documenta 14 gebeten wurde, eine kurze Einführung zu ihrem Ausstellungsbeitrag zu verfassen (inklusive der Fakten zu Jahr und Ort ihrer Geburt: 1962, Bamberg), und bitte sie, mir die Hauptintentionen ihrer künstlerischen Praxis zu beschreiben. Maria sinnt über meine Frage nach. Als das Schweigen unbehaglich wird, versuche ich die Stimmung aufzulockern und murmle, dass ich mir der leichten Absurdität der Frage bewusst sei. „Ich versuche immer, ein allgemeines Resümee meiner Praxis zu vermeiden“, antwortet die Künstlerin. Dann legt sie mir nahe, auf einen Text zurückzugreifen, den ich gemeinsam mit Nora Alter für ein vom Kunsthaus Bregenz zusammengestelltes Werkverzeichnis ihrer Arbeiten verfasst habe.

Wir begeben uns zu einem großen Tisch, und Maria ergreift einen Stapel A4-Blätter, der mittels einer Papierklemme zusammengehalten wird. Sie weist auf die ersten Zeilen und sagt: „Du könntest diesen Absatz verwenden, glaubst du nicht?“ Der Entwurf, den sie mir reicht, hat es nicht ins Werkverzeichnis geschafft. Er lautet: „Maria Eichhorns Kunst mit ihren häufigen Verschiebungen und Umleitungen, mit Brüchen, die sich im Zeitablauf entfalten und normative Formen destabilisieren, stört die imaginäre Beziehung zwischen dem Werk und dem Feld der Kunst, das seinen Kontext bildet. Dieses Verschieben und Umdeuten bestehender Konventionen ist im Lauf der Jahre nicht nur komplexer, sondern auch weniger zurückhaltend geworden, stößt die Künstlerin mit ihrer Arbeit doch immer tiefer in die operativen Prozesse des Kunstfeldes vor. Und dennoch verschmäht und verwirft Eichhorns Arbeit die herrschende Ordnung der Kunst nicht völlig; sie versucht nicht, aus ihrem unentrinnbaren Rahmen auszubrechen. Stattdessen transformiert sie die Logik ihrer Abläufe von innen in dem Bemühen, ihre Strukturen dauerhaft zu verändern und gleichzeitig die Bedeutung ihres Wirkens zu würdigen.“ Da Maria dieser Absatz gefällt, greife ich ihre Idee gerne auf.

Es war kühl draußen, als ich das Atelier verließ, der Wind legte zu. Aber ich ließ mich nicht beirren und wenige Minuten später stieg ich bereits in der Pankstraße in die U-Bahn, die mich Richtung Hermannstraße brachte.

— Alexander Alberro

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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