Rose Valland Institut
Open Call: Unrechtmäßige Besitzverhältnisse in Deutschland

Maria Eichhorn, Versteigerungsprotokolle 1935–1942, Berlin, Versteigerungsakten mit Listen der versteigerten Objekte und Nennung der Käufer, 1935–1942, A Rep. 243–04 Nr. 46–63, 66–68, Landesarchiv Berlin, Reproduktionen von Originaldokumenten, Projektion, 720 Minuten, Filmstill

Das Rose Valland Institut ist ein künstlerisches Projekt von Maria Eichhorn im Rahmen der documenta 14. Mit dem Call for Papers Verwaistes Eigentum in Europa trat das Institut im März 2017 erstmals an die Öffentlichkeit.

Mit dem Open Call Unrechtmäßige Besitzverhältnisse in Deutschland setzt das Rose Valland Institut seine Aktivitäten fort. Die Öffentlichkeit wird aufgerufen, NS-Raubgut im ererbten Besitz zu recherchieren und Informationen dem Rose Valland Institut zu übermitteln.

Das Rose Valland Institut ist ein interdisziplinär ausgerichtetes und unabhängiges künstlerisches Projekt. Es erforscht und dokumentiert die Enteignung der jüdischen Bevölkerung Europas und deren Nachwirkungen bis in die Gegenwart. Benannt wurde es nach der Kunsthistorikerin Rose Valland, die während der deutschen Besatzungszeit in Paris die Plünderung der Deutschen in geheim gehaltenen Listen aufzeichnete. Nach dem Krieg arbeitete sie für die Commission de Récupération Artistique (Ausschuss für die Rückführung von Kunst) und trug maßgeblich dazu bei, NS-Raubkunst zu restituieren.

Ausgehend von Maria Eichhorns vorherigen Ausstellungsprojekten Restitutionspolitik / Politics of Restitution (2003) und In den Zelten ... (2015) widmet sich das Rose Valland Institut dem Themenbereich ungeklärter Eigentums- und Besitzverhältnisse von 1933 bis heute. Das Institut thematisiert grundsätzliche Fragen zu Eigentum an Kunstwerken, Grundstücken, Immobilien, Vermögenswerten, Unternehmen, beweglichen Objekten und Artefakten, Bibliotheken, wissenschaftlichen Arbeiten und Patenten, die in der NS-Zeit jüdischen Eigentümer_innen in Deutschland und in den besetzten Ländern unrechtmäßig entwendet und bis heute nicht zurückgegeben wurden.

Das Rose Valland Institut wird anlässlich der documenta 14 gegründet und hat vom 10. Juni bis 17. September 2017 seinen Sitz in der Neuen Galerie in Kassel.


Beschlagnahmtes und geraubtes Gut

Im Kulturellen und im Politischen, also in dem gesamten Bereich des öffentlichen Lebens, geht es weder um Erkenntnis noch um Wahrheit, sondern um Urteilen und Entscheiden, um das urteilende Begutachten und Bereden der gemeinsamen Welt und die Entscheidung darüber, wie sie weiterhin aussehen und auf welche Art und Weise in ihr gehandelt werden soll.
Hannah Arendt, Zwischen Vergangenheit und Zukunft. Übungen im politischen Denken I (München: Piper Verlag, 1994), S. 300.

Spätestens mit dem Fall Gurlitt, der 2013 medienwirksam ans Licht kam, wurde auch der Weltöffentlichkeit klar, dass sich Raubkunst und weitere aus jüdischem Eigentum entwendete Raubgüter über 70 Jahre nach dem Holocaust nicht nur weiterhin in deutschem Staatsbesitz, in öffentlichen Sammlungen und Museen, sondern auch in Privatbesitz befinden. Die Erinnerung an das von Deutschen begangene Unrecht, an Ausgrenzung, Entrechtung, Enteignung, Vertreibung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas wurde durch das Aufdecken des Raubkunst-Verstecks Cornelius Gurlitts erneut im kollektiven und im kosmopolitischen Gedächtnis verankert.

Ein Versteck kann in diesem Zusammenhang auch darin bestehen, dass die unrechtmäßigen Besitzer_innen die Herkunft ihres geraubten Besitzes verschweigen, verheimlichen, verschleiern und / oder Hinweise auf die Herkunft entfernt haben. So können Bilder an der Wand Raubkunst, Möbel im Wohnzimmer, Schmuck am Handgelenk, Gebäude und Grundbesitz oder Bücher in der Bibliothek Raubgut sein, das von Generation zu Generation weitergegeben wird und heute Teil deutschen Familienbesitzes ist.

Beschlagnahmtes und geraubtes Gut aus jüdischem Eigentum wurde von den deutschen Finanzbehörden des NS-Staates öffentlich versteigert und so in die gesamte deutsche Bevölkerung verbreitet. Versteigert wurde Umzugsgut jüdischer Emigrant_innen aus ganz Deutschland, die über den Auswandererhafen Hamburg ausgereist waren;
jüdisches Eigentum aus der „M-Aktion“ (Möbelaktion) aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Luxemburg; et cetera.

In den Jahren 1942 und 1943 trafen allein in Hamburg 45 Schiffsladungen mit Gütern ein, die man niederländischen Juden geraubt hatte; sie hatten ein Nettogewicht von 27 227 Tonnen. Etwa 100 000 Einwohner erwarben auf Hafenauktionen etwas von den gestohlenen Habseligkeiten.
Saul Friedländer, Die Jahre der Vernichtung. Das Dritte Reich und die Juden 1939–1945 (München: C. H. Beck Verlag, 2006), S. 528.

Um sich materielle Vorteile zu verschaffen, nahm die deutsche Bevölkerung bereitwillig an den Versteigerungen teil. In den Landes-Archiven sind Versteigerungsakten erhalten, aus denen hervorgeht, von welchen jüdischen Mitbürger_innen welche Gegenstände entwendet und zu welchem Preis sie von welchen Personen ersteigert wurden.


Das Rose Valland Institut

Weshalb müssen sich die Beraubten um die Rückgabe ihres Eigentums bemühen und nicht die Räuber, die Beraubten ausfindig zu machen und das Geraubte zurückzugeben?

Das Rose Valland Institut will Bewusstsein und Öffentlichkeit für ungeklärte Eigentums- und Besitzverhältnisse seit der NS-Zeit bis heute schaffen. Es ruft dazu auf, aktiv an der Aufklärung andauernden Unrechts und am Auffinden und Aufdecken der unrechtlichen Besitzverhältnisse mitzuwirken. Das Institut ist eine Anlaufstelle für Personen und Gruppen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen wollen.

Aufgabe des Instituts ist die Erforschung von NS-Raubgut in deutschem Familien- und Privatbesitz – ein Forschungsgebiet, das die gesamte deutsche Gesellschaft umfasst und das bislang nicht im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert ist. Die umfassende Plünderung und Weitergabe jüdischen Eigentums an nachfolgende Erb_innengenerationen soll aufgearbeitet werden – mit dem Ziel, eine breite gesellschaftliche Debatte zu initiieren. So wie sich „gewöhnliche“ Deutsche bereicherten, sollen die nachfolgenden Erb_innengenerationen dazu gebracht werden, diese Bereicherungen und ihren unrechtlichen Besitz zu erkennen und zu erforschen. Das Institut soll ein Ort der Auseinandersetzung sein, an dem der Zuwachs an Erkenntnissen – von Privatpersonen wie Wissenschaftler_innen – dokumentiert, archiviert und die Rückgabe von Vermögenswerten oder andere Formen der Rückgabe in die Wege geleitet werden sollen, falls die rechtmäßigen Eigentümer_innen nicht ausfindig zu machen sind.

Das Institut ist ein transitorischer Raum, wo unrechtmäßig entwendete oder mit einem solchen Verdacht behaftete Kunstwerke, Grundstücke, Immobilien, Vermögenswerte, Unternehmen, bewegliche Objekte und Artefakte, Bibliotheken, wissenschaftliche Arbeiten und Patente ans Licht geholt und durchleuchtet sowie ihre Herkunft und ihr Stadium der Dokumentalität aufgeschlüsselt werden.


Open Call Unrechtmäßige Besitzverhältnisse in Deutschland

Der Open Call Unrechtmäßige Besitzverhältnisse in Deutschland ruft dazu auf, Informationen zu Objekten, Grundbesitz, Immobilien et cetera, bei denen es sich um NS-Raubgut handelt oder handeln könnte, dem Rose Valland Institut mitzuteilen, um gemeinsam zu einer Klärung der Besitz- und Eigentumsverhältnisse zu kommen.

Die Herkunftsgeschichten der Objekte werden durch das Rose Valland Institut individuell aufgezeichnet. Die betreffenden gesuchten und / oder gefundenen Objekte werden detailliert dargestellt und dokumentiert. In Zusammenarbeit mit Provenienzforscher_innen sollen weiterführende Recherchen beauftragt und Fallstudien veröffentlicht werden.

Folgende Fragen können hierbei für die Provenienzforschung von Relevanz sein:

– Aufgrund welcher Erinnerungen, Hinweise, Kenntnisse, Erzählungen, Überlieferungen, Dokumente wie Fotografien oder Briefe oder anderer schriftlicher und mündlicher Zeugnisse wurde der betreffende Gegenstand als NS-Raubgut identifiziert?

– Welche Dokumente, Unterlagen und andere Beweismittel unterstützen den Verdacht beziehungsweise die Vermutung?

– Wer ist im Besitz solcher Unterlagen und Zeugnisse beziehungsweise wo befinden sich diese?

– Sind Sie bereit, Ihre Kenntnisse und Informationen zu veröffentlichen?

– Haben Sie sich bemüht, Berechtigte zu finden? Konnten Sie berechtigte Eigentümer_innen oder Erb_innen ausfindig machen? Falls Sie sich bemüht haben, wie sind Sie dabei vorgegangen?

– Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu dem betreffenden Gegenstand beschreiben?

– Kennen Sie die historischen Zusammenhänge und Hintergründe, die dazu geführt haben, dass der Gegenstand heute in Ihrem Besitz ist?

– Sehen Sie das Objekt / den Gegenstand als Zeugen dieser Zusammenhänge?

– Sind Sie bereit, diese Zeugenhaftigkeit in einen öffentlichen Diskurs zu geben?

Gefunden: Wenn Sie von Gegenständen in Ihrem Besitz oder Ihrem Familienbesitz wissen, von denen angenommen werden kann oder erwiesen ist, dass sie unrechtlich aus jüdischem Eigentum stammen, wenden Sie sich bitte an das Rose Valland Institut.

Vermisst: Wenn Sie nach Gegenständen suchen, von denen angenommen werden kann oder erwiesen ist, dass sie aus jüdischem Eigentum entwendet wurden, wenden Sie sich bitte an das Rose Valland Institut.

Sie erreichen das Rose Valland Institut unter: kontakt@rosevallandinstitut.org.
Kontaktaufnahmen und Zuschriften werden diskret behandelt und auf Wunsch anonymisiert.

Das Rose Valland Institut und die documenta 14 bitten die Medien um Veröffentlichung des Aufrufs.


Weiterführende Links

Alexander Alberro, Specters of Provenance: National Loans, the Königsplatz, and Maria Eichhorn’s ‘Politics of Restitution‘

Adam Szymczyk im Gespräch mit Alexander Alberro, Maria Eichhorn und Hans Haacke: Die unauslöschliche Präsenz des Gurlitt-Nachlasses

Rose Valland Institut Call for Papers Verwaistes Eigentum in Europa

Legalisierter Raub. Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933–1945, Fritz Bauer Institut und Hessischer Rundfunk

Marianne Moesle, Falsches Erbe, SZ Magazin (46/2014)

Stiftung Zurückgeben

Association La Mémoire de Rose Valland

The Central Registry of Information on Looted Cultural Property 1933–1945

Deutsches Zentrum Kulturgutverluste

Gepostet in Neues am 05.06.2017