Ibrahim Mahama

Ibrahim Mahama, NO STOPPING NO PARKING NO LOADING. UNITY HALL. 1957–2057 (2015), Jutesäcke für Holzkohle auf Gerüst im öffentlichen Raum, Ansichten vom Ort vor und nach der Installation, Kwame Nkrumah University of Science and Technology, Kumasi, Ghana, courtesy Ibrahim Mahama und blaxTARLINES, Kumasi, Ghana

Ibrahim Mahama, Check Point Prosfygika. 1934–2034. 2016–2017, 2017, Performance mit Kohlesäcken auf Syntagma Platz, Athen, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Ibrahim Mahama, Check Point Sekondi Loco. 1901–2030. 2016–2017, 2016–17, verschiedene Materialien, Torwache, Kassel, documenta 14, Foto: Ibrahim Mahama

Die Politik der Räume ist von deren Formen – ihren Architekturen und Infrastrukturen oder dem Mangel daran – ebenso bestimmt wie von den Vorstellungen, Zwecken und Absichten, denen diese Formen dienen. Museen, Regierungsgebäude, Bahnhöfe oder Wohnviertel sind in Abhängigkeit von ihrer Raumpolitik mehr oder weniger zugänglich, wohnlich, einschüchternd oder ungemütlich. Diese Eigenschaften werden von den Menschen, die in diesen Räumen wohnen, absorbiert, verkörpert und auch ausgestrahlt.

Man kann die Politik der Räume durchkreuzen und unterlaufen, indem man den Räumen neue Formen und Bedeutungen aufzwingt oder sie ihrer intendierten Sinngehalte beraubt. Ibrahim Mahamas Einhüllen von Gebäuden in Stoff lässt sich am besten in diesem Kontext verstehen. Der 1987 in Tamale, Ghana, geborene Künstler verhüllt regelmäßig Gebäude wie Theater, Museen, Wohnhäuser und Ministerien in Accra und Kumasi.

Mahama nutzt dafür zerschlissene Jutesäcke, die er von Händlern im Tausch gegen neue erhält. Erinnerung ist die eigentliche Währung. Die Säcke werden in Asien hergestellt, in aller Welt vertrieben und in Ghana zum Verpacken von Kakao, Kaffee, Reis, Bohnen und Holzkohle für den Export nach Amerika und Europa verwendet. In diesen Säcken materialisiert sich die Geschichte des Welthandels. Für Mahama sind sie einerseits forensische Beweismittel bei seiner Suche nach Manifestationen kapitalistischen Wirtschaftens in der Welt, andererseits offenbaren sie lokale Bezüge innerhalb der internationalen Arbeiterklasse. Wer webt, verpackt, belädt und transportiert, hinterlässt auch seinen Schweiß, seinen Namen, Daten und andere Koordinaten auf den Säcken. Aus den Säcken werden Häute mit Narben, die eine soziopolitische und wirtschaftliche Vorgeschichte erzählen.

Mahamas Wahl der Jute zum Material seiner Kunst, mit der er Gebäude überzieht und ihr Aussehen verbirgt, steht in einer langen Tradition der Verwendung von Jute in Westafrika – für Vorhänge, traditionelle Kostüme und Dekoration. Nach dem Sammeln der Säcke vernäht eine Gruppe von Menschen, die Mahama „Mitarbeiter_innen“ nennt – zumeist Landflüchtige aus anderen Ländern – in einer gemeinschaftlich-geselligen Atmosphäre die Säcke zu riesigen Juteplastiken. Die Räume, in denen diese Näharbeit stattfindet – ein aufgegebener Bahnhof, ein Silo oder der Innenhof seines Elternhauses – prägen die Arbeit: Die Skulptur nimmt die Form ihres Herstellungsortes an, sie verkörpert den an diesem Ort herrschenden Geist. Was dabei entsteht, ist eine neue Kartografie dieser Städte. Sie verzeichnet und verknüpft Räume ausgehend von den Motiven und Zwecken, die Mahama zwischen ihnen stiftet.

— Bonaventure Soh Bejeng Ndikung

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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