Michel Auder

Michel Auder, The Course of Empire (Work in Progess), digitale Videoinstallation, Farbe und schwarz-weiß, ohne Ton, ca. 40 Min., courtesy Michel Auder und Martos Gallery, New York und Gavin Brown’s enterprise, New York, Rome

Michel Auder, Gulf War TV War, 1991, 2017 bearbeitet, digitales Video, Still, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, documenta 14

Michel Auder, The Course of Empire, 2017, Vierzehnkanal-Digitalvideo-installation, Ehemaliger unterirdischer Bahnhof (KulturBahnhof), Kassel, documenta 14, Foto: Jasper Kettner

„Von dieser Sache beherrscht zu werden“, erklärte mir einst der französische Filmemacher M. Auder während eines Essens in einem bürgerlichen Schweizer Restaurant, während sich seine glänzenden silbernen Armbänder immer stärker von der weißen Tischdecke unseres exquisiten Mahls abzuheben schienen. War dies eine Anspielung auf Drogen oder auf das Produzieren von Bildern – oder auf den verblichenen Imperialismus unserer Umgebung, der sich in andere (pharmazeutische?) Formen der Macht verwandelte? Nun, Auder, geboren 1945, beschäftigt sich in seiner Arbeit häufig mit Sprache und Herrschaft, mit Imperien aller Art. Die persönliche, provisorische, beiläufig virtuose Anmutung seiner bewegten Bilder – in New York entstanden in fünf Jahrzehnten mehr als 500 Videos, stets mit der jeweils aktuellen Technologie, von Portapak bis iPhone – lenkt den Betrachter bisweilen ab vom politischen Fokus der Werke, von ihrer scharfsinnigen Auseinandersetzung mit Literatur (und Propaganda).

Ich habe mir Gulf War TV War Untitled (1991, 2017 bearbeitet) angesehen – entstanden in einer für Auder typischen Art in seinen vier Wänden, durch das Abfilmen seines Fernsehers –, in dem er die amerikanischen Fernsehnachrichten im Vorfeld des Ersten Golfkrieges dokumentiert: eine Mischung aus haarsträubender Propaganda und dürftigem Journalismus, Bild und Text. Montagen von Antikriegsdemonstrant_innen auf dem Marsch durch Manhattan und blassen Politiker_innen an dunklen Schreibtischen, die die Invasion preisen, konkurrieren mit Werbespots und Texten, die über den verpixelten Bildschirm laufen: „A Line in the Sand“, „World Television Premiere“, „1800-DIAL-CASH“, „Free the Land“, „Machine Gun Ban“, „Explaining War“. Die Namen von militärischen Operationen, die wie müde Fahnen durch unsere nationalen Seelen flattern, sind gekonnte Übungen im Entleeren von Sprache: George H. W. Bushs „Operation Desert Storm“ 1990 etwa oder „Operation Iraqi Freedom“ seines unbeholfenen Sohns 2003.

Doch Imperien, mit ihren schwachsinnigen Familien und kolonialistischen Invasionen, mit Landraub und der Ausbeutung von Ressourcen, sind keine Phänomene unserer Zeit. Ebenso wenig wie die imperialistische Instrumentalisierung von (Bild-)Sprache. Auders neue Videoinstallation The Course of Empire beruht auf einer Gemäldeserie gleichen Titels, die Thomas Cole von 1833 bis 1836 schuf. Ein „Textfilm“, bestehend aus iPhone-Bildern mit Schriften von James Baldwin, Donna J. Haraway und Arthur Rimbaud. The Course of Empire enthält zudem Auszüge aus dem Buch Reise in die Aequinoctial-Gegenden des neuen Continents, in dem sich Alexander von Humboldt mit dem Thema Sklavenhandel auseinandersetzt. In Auders Film notiert Humboldt: „[D]er Sklave [bleibt] in der Einsamkeit einer Pflanzung oder eines Pachthofes den größten Mißhandlungen preisgegeben, wenn auf demselben ein roher capataz, mit einem Buschmesser (machete) und einer Geißel, unbeschränkte Gewalt und Herrschaft übt!“ Und: „Der Matrose, auf der einsamen Seefahrt zu andauerndem Gehorsam gezwungen, übt gerne eine grausame Herrschaft gegen Thiere aus, sobald sich dazu Gelegenheit darbietet.“ Imperium und Sprache und all die Körper dazwischen.

— Quinn Latimer

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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