Hiwa K

Hiwa K, This Lemon Tastes of Apple (2011), Digitalvideo, Farbe, Ton, 13.27 min, courtesy Hiwa K, KOW, Berlin und prometeogallery di Ida Pisani, Milan/Lucca

Hiwa K, Pre-Image (Blind as the Mother Tongue), 2017, digitales Video, Installationsansicht, Athener Konservatorium (Odeion), documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Hiwa K, When We Were Exhaling Images, 2017,
 verschiedene Materialien
, in collaboration with PD022, the Diplom Degree Programme in Product Design, Prof. Jakob Gebert, Kunsthochschule Kassel, installation view, Friedrichsplatz, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Wir sind einzigartige Wesen, doch wir sind niemals identisch mit uns selbst. Das war mein Gedanke, als Hiwa K mich bat, anlässlich seiner Auszeichnung mit dem Kasseler Arnold-Bode-Preis 2016 für seine Performance The Barkeeper Is Not Dead … Yet den Klavierpart von Nick Caves Stück „Stagger Lee“ zu übernehmen. Nie zuvor hatte ich Klavier – oder ein anderes Instrument – gespielt, doch für Hiwa K tat ich es.

In seiner Heimat galt Hiwa K, geboren 1975 in der kurdisch-irakischen Stadt Sulaimaniyya und nunmehr in Berlin lebend, als realistischer Maler – und daran hat sich nichts geändert, auch wenn er das Malen mittlerweile aufgegeben hat. Er ist ein Sozialrealist, dem es nicht um die präzise Darstellung einer potenziellen Wirklichkeit geht, sondern um die Neuerfindung und Transformation der vorgefundenen Realität. Bei der von Okwui Enwezor kuratierten Biennale von Venedig 2015 präsentierte der Künstler eine Glocke aus militärischen Abfallprodukten des Iran-Irak-Krieges (1980–1988) und der beiden Golfkriege (1991, 2003). Die Reliefs, mit denen die Glocke verziert war, verwiesen auf historische Kunstwerke, die diesen Konflikten im Nahen Osten zum Opfer gefallen waren. Der Prozess des Einschmelzens und Neugestaltens verwandelte das ohrenbetäubende Getöse des Krieges in einen widerhallenden Klang.

Im Video This Lemon Tastes of Apple (2011) sehen wir Hiwa K unter einer Schar von Demonstranten marschieren, während er Ennio Morricones Melodie aus dem Film „Spiel mir das Lied vom Tod“ auf der Mundharmonika spielt. Die Dinge spitzen sich zu: Tränengas wird eingesetzt, Schüsse fallen, Männer werden vorbeigetragen, verwundet und blutend. Dann wird der Marsch unter Sprechchören fortgesetzt; Hiwa Ks Spiel wird von Daroon Othman auf der Gitarre begleitet. Um die Auswirkungen des Tränengases zu lindern, wird eine Zitrone von Demonstrant zu Demonstrant gereicht. Hiwa K berichtet:

Saddam Hussein bezeichnete Kurdistan-Nordirak als „Allahs Paradies auf Erden“. Ich begann die Ironie dieser Worte nach 1988 zu verstehen, als mir einige Verwandte, die den Giftgasangriff auf Halabdscha überlebt hatten, erzählten, das Gift habe nach Apfel gerochen.

This Lemon Tastes of Apple entstand am 17. April 2011 in Sulaimaniyya. In dem Bürgerprotest, der in internationalen Medien nur wenig Beachtung fand, ging es um das Recht auf Teilnahme am politischen Prozess und den gleichberechtigten Zugang zum Reichtum des Landes. Wie die Kuratorin Aneta Szyłak richtig anmerkt, berichtet Hiwa Ks Werk nicht über den Protest, sondern ereignet sich darin. Es ist diese unermessliche Sphäre des sozialen Widerspruchs, aus der heraus der Künstler handelt – und uns daran erinnert, dass wir stets in einem Dazwischen sind, dass wir – auch wenn wir ankommen – immer auf den Ort zurückblicken, wo unsere Reise begann und wohin wir, vielleicht, niemals zurückkehren werden.

— Adam Szymczyk

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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