Guillermo Galindo

Guillermo Galindo, Teclata (2015), Tasteninstrument aus leeren Dosen, Plastikflaschen und Munitionskisten der United States Border Patrol, 45,7 × 76,2 × 66 cm, Foto: Richard Misrach

Guillermo Galindo, Installationsansicht, Athener Konservatorium (Odeion), documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Guillermo Galindo, Fluchtzieleuropahavarieschallkörper, 2017, verschiedene Materialien, Installationsansicht, documenta Halle, Kassel, documenta 14, Foto: Nils Klinger

2012 begann Guillermo Galindo mit der Arbeit an Border Cantos, einem Gemeinschaftsprojekt mit Richard Misrach. Das Projekt hat ihn an der Grenze zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten entlanggeführt, in das am meisten militarisierte Gebiet Nordamerikas. Hier begann er, weggeworfene Gegenstände zu sammeln. Zuerst kleine Dinge: einen verwitterten Plastikkamm, leere Wasserflaschen, brüchige Tierknochen. Später kamen größere Objekte hinzu: verbogenes Wellblech, Ketten, Reifen und schließlich reihenweise Abbilder in der Kleidung von Migrant_innen, die, aufgehängt in einem aufgegebenen Tunnel, in der Hitze der Wüstensonne vor sich hin rotteten.

Aus kleinen und großen weggeworfenen Objekten entstanden in der Folge Instrumente, die in die Welt hinaustönen können. Für den 1960 in Mexiko geborenen Künstler wird mit diesen Klängen etwas von der Geschichte und möglichen Zukunft des Gegenstands hörbar. In einer seiner Klangskulpturen hängen ein Handschuh und ein Stiefel an einem komplizierten Flaschenzug und erzeugen über einer abgenutzten Gummireifentrommel ein eigentümliches Klacken oder Schnalzen. In einer anderen Skulptur verursachen die leeren, von einer aus Metallschrott zusammengeschweißten Piñata herabhängenden Patronenhülsen bei jedem Schlag ein helles Klimpern. Diese Materialien erzählen – als Relikte – von ihrer Vergangenheit, aber ebenso vom möglichen späteren Leben der Menschen, denen sie einmal gehörten.

In Athen und Kassel komponiert Galindo neue Partituren, Oden für Grenzgänger_innen. Fundstücke aus beiden Städten bilden das Ausgangsmaterial für neue Instrumente. Aus dem Bruchstück eines Bootes kann unter Galindos Händen ein Saiteninstrument werden, aus dem Rest eines Leitungsrohrs eine Flöte, aus einem Bett in einer behelfsmäßigen Flüchtlingsunterkunft in Kassel eine Trommel.

In Mesoamerika gelten Musikinstrumente traditionell als Talismane für den Übergang von einer Welt zur anderen. „Aus Sicht mesoamerikanischer Kulturen“, erklärt Galindo, „sind persönliche Gegenstände und die Klänge, die sie erzeugen, Teil unserer Lebensreise auf diesem Planeten“. Seine eigenen Instrumente sind ebensolche Talismane, jedoch für eine andere Reise: nicht von einer Welt zur anderen, sondern von einem Staat in den anderen. Die Musik, die sie erzeugen, haucht den zurückgelassenen Dingen Leben ein. Das lateinische reliquiae meint „Überbleibsel“, und zwar meist solche, die kultisch verehrt werden. „Wenn ich Instrumente baue“, sagt Galindo, „strebe ich nicht nach dem vollkommenen oder schönsten Klang. Die Materialien sollen in ihren eigenen Stimmen singen können“ – eine ganz eigene Art kultischer Verehrung.

— Candice Hopkins

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
Verwandte Einträge

Sonic Borders 2

von Guillermo Galindo

Sonic Borders 2 is a sonic ritual performance using sonic devices made from both, items found in the U.S./Mexico Border and personal items obtained from refugee camps in Germany.

The piece was originally…

 Mehr
Kalender

Original composition from the series Exit/Έξοδος

von Guillermo Galindo

Bei dieser Weltpremiere am 27. Mai wird Galindo eine neue Komposition gemeinsam mit den gefeierten Musiker_innen Dimitris Desyllas und Christina Pantelidou zur Aufführung bringen.

 Mehr
Kalender

Original composition from the series Exit/Έξοδος

von Guillermo Galindo

Der experimentelle Komponist, Schallarchitekt und Performance-Künstler Guillermo Galindo nutzt seine „cyber-totemistischen“ Instrumente dazu, den Sound eines Objekts mit seiner materiellen Geschichte…

 Mehr
Kalender