Wohnungen jüdischer Mieter_innen als Holocaust-Zeugen: der Fall Paris
mit Sarah Gensburger, Isabelle Backouche und Eric Le Bourhis

SEP
11
Konferenz
20–22 Uhr
Fridericianum, Friedrichsplatz 18, Kassel
Als Livestream verfügbar
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Auschwitz, das Sammellager Drancy bei Paris, das Warschauer Ghetto: Die Geschichte der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg wird mit offiziell ausgewiesenen Orten wie Ghettos, Vernichtungslagern oder Übergangslagern verbunden. Diese symbolträchtigen Orte können aber nur teilweise erklären, wie solche Gräuel geschehen konnten. Wie die meisten Völkermorde fand auch der Holocaust an ganz gewöhnlichen Orten statt – in Städten und auf den Straßen dieser Städte.

In Paris sind die Wohnungen von jüdischen Mieter_innen auch heute noch Hauptzeugen des Holocausts. Die meisten jüdischen Einwohner_innen von Paris wurden in ihrem Zuhause festgenommen. Da allgemein bekannt war, dass sie in Vernichtungslager geschickt würden, fielen die Gegenstände in diesen Wohnungen Plünderungen zum Opfer. Das dauerhafte Verschwinden der Bewohner_innen machte die Besetzung der Wohungen durch neue, nicht-jüdische Mieter_innen möglich.

Die Konferenz beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Pariser Wohnungen über das zerstörte Leben ihrer früheren jüdischen Bewohner_innen, über ihren Alltag und ihr Verhältnis zu nicht-jüdischen Nachbar_innen Zeugnis ablegen können.

Konzipiert wurde die Konferenz vom Rose Valland Institut, das von Maria Eichhorn anlässlich der documenta 14 gegründet wurde und seinen Sitz vom 10. Juni bis 17. September 2017 in der Neuen Galerie in Kassel hat.

Beispiel für ein Verwaltungsformular (Frühling/Sommer 1944), dass Pariser Vermieter_innen und Gebäudebesitzer_innen mit den genauen Informationen über alle jüdischen Mieter_innen ausfüllen mussten. Dieses spezielle Formular enthält Angaben über eine Familie, die im Mai 1944 nach Auschwitz deportiert wurde. Courtesy: Archives de Paris

Isabelle Backouche (geb. 1959) hat eine Direktorenstelle an der EHESS-CRH Paris inne, der Hochschule für Sozialwissenschaften am Zentrum für Historische Forschungen CRH. Sie ist Alumna der École Normale Supérieure und Professorin (laureata) für Geschichte. In ihrer Dissertation untersuchte sie die Beziehung zwischen Paris und der Seine (La trace du fleuve. La Seine et Paris, 1750–1850 [Paris: EHESS, 2000, Neuauflage 2016]), ihre Habilitationsschrift analysierte die Transformation französischer Innenstädte mit historischem Stadtkern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Aménager la ville. Les centres urbains franҫais entre conservation et rénovation de 1943 à nos jours [Paris: A. Colin, 2013]). Backouches Spezialgebiet ist Stadtgeschichte, insbesondere die der Region Paris, und sie erhellt den Zusammenhang zwischen den materiellen Veränderungen der Stadt und ihren wechselnden sozialen Strukturen. Diese Perspektive bestimmt auch ihre Untersuchung des „L’ȋlot 16“ im südlichen Marais (Paris transformé. Le Marais 1900–1980: de l’ȋlot insalubre au secteur sauvegardé [Paris: Créaphis, 2016]). Eine Analyse der Motive hinter der von der Vichy-Regierung propagierten Städteplanung brachte sie dazu, sich mit der zentralen Frage der Wohnungspolitik unter der Okkupation auseinanderzusetzen. Seit 2014 widmet sie sich gemeinsam mit der Soziologin Sarah Gensburger und dem Historiker Eric Le Bourhis einer breit angelegten Untersuchung dieses Themas.

Sarah Gensburger (geb. 1976) ist leitende Wissenschaftlerin des französischen Forschungszentrums CNRS und Mitglied des Instituts für Politik- und Sozialwissenschaften (Paris Nanterre). Als Soziologin und Sozialhistorikerin widmet sie sich der Erinnerung an den Holocaust an der Schnittstelle von Geschichte, Soziologie und Politikwissenschaft. Sie veröffentlichte National Policy, Global Memory. The Commemoration of the “Righteous” from Jerusalem to Paris, 1942–2007 (New York: Berghahn Books, 2016) sowie Witnessing the Robbing of the Jews. A Photographic Album, Paris 1940–1944 (Bloomington: Indiana University Press, 2015) und ist Mitherausgeberin von Resisting Genocide. The Multiple Forms of Rescue (New York: Columbia University Press, 2011). Sie kuratierte mehrere Ausstellungen und erkundete neue Formen der Erinnerungsliteratur.

Eric Le Bourhis (geb. 1981), ist Historiker und Verfasser einer 2016 von der französischen Gesellschaft für Urbanistik preisgekrönten Dissertation über den Wiederaufbau der Stadt Riga, der nach 1945 unter sowjetischer Ägide erfolgte. Aktuell arbeitet er am Institut für Politik- und Sozialwissenschaften der Universität von Paris-Saclay. Er ist assoziierter Forscher am Centre Marc Bloch, Berlin und Postdoktorand der Foundation for the Memory of the Shoah, Paris. 2016 erhielt er Stipendien vom Interdisziplinären Zentrum für Germanistik CIERA, Paris, und der Europäischen Holocaust-Grundlagenforschung EHRI. Aktuell beschäftigt er sich mit der Enteignung von jüdischem Besitz in Riga in den Jahren 1941 und 1942. Zusammen mit Isabelle Backouche und Sarah Gensburger realisiert er zwei Gemeinschaftsprojekte zum Thema Wohnungspolitik unter der deutschen Okkupation und Nationalsozialistische Kriegsverbrechen vor Gericht – Mittel- und Osteuropa 1943–1991. Verantwortlich für die Koordination der Projekte ist Vanessa Voisin, finanziert werden sie von der Französischen Nationalen Forschungsagentur ANR.

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