Susan Hiller

Susan Hillers künstlerische Praxis führt uns an die Grenzen der bekannten Welt, an Orte, wo wir in unseren gewohnten Kartierungsprozessen innehalten. Sie konfrontiert uns mit der Möglichkeit, das unsere herkömmlichen Orientierungsinstrumente keineswegs autoritativer Natur sind, sondern zufällig und konstruiert. Dass die Karten, auf die wir uns üblicherweise verlassen, fremde Territorien nicht nur entbergen oder darstellen können, sondern ebenso ausblenden und ausgrenzen. Hiller (1940 in Florida geboren) berichtet von den Grenzregionen der Erkenntnis, die – so das allgemeine Verständnis – dem Bewusstsein nicht zugänglich und daher „unbegreifbar“ sind. Witness (2000) etwa basiert auf mündlichen Aussagen von Menschen aus der ganzen Welt, die von ihren Begegnungen mit Außerirdischen erzählen. Channels (2013) wiederum lässt den Ereignishorizont des Todes hinter sich und berichtet im Flimmern unzähliger Röhrenfernseher von Nahtoderfahrungen.

Sprache spielt in Hillers Werk eine zentrale Rolle. In The Last Silent Movie (2007) und Lost and Found (2016) beschwört die Künstlerin die Sprache selbst als kulturelles Konstrukt, das unterschiedliche Welten enthält und generiert. So bringt The Last Silent Movie Aufnahmen ausgestorbener und gefährdeter Sprachen zu Gehör. Es ist eine verblüffende Vielfalt an Schallwellen, die die neuronalen Netzwerke des Verstehens und Kommunizierens in Gang zu setzen suchen – doch die jeweilige Sprache ist im Aussterben begriffen oder, wie viele der Sprecher_innen, bereits tot. Anstatt die Laute zu verstehen, lesen wir auf einem ansonsten leeren Bildschirm die Bedeutung des Gesagten – übersetzt in eine unverändert dominante Sprache, die wesentlichen Anteil daran hatte, die Sprecher_innen von Lenape oder Südsamisch zum Schweigen zu bringen.

Der Akt des Darstellens, des Sichtbarmachens ist bei Susan Hiller weder romantisch, noch dient er der Erinnerung. Als aktiver, dissonanter Vorgang beseelt er Zeichen, die den vorherrschenden Codes zuwiderlaufen. In Lost and Found setzt sich die Künstlerin einmal mehr mit Sprachgruppen und ihren Sprecher_innen auseinander, inkludiert jedoch diesmal Sprachen, die das Archiv hinter sich lassen könnten, um heute und in Zukunft gesprochen zu werden. Wie um die physische Präsenz dieser potenziellen Wiederkehrens- und Überlebensprozesse zu betonen, zeichnet der grüne, geschwungene Graph eines Oszilloskops den Klang der Plosive, Frikative und Aspirationen nach. Gleichzeitig steht diese Wellenbewegung auch für die Welt der Technik. Als Produkt einer dominanten, nivellierenden Kultur bietet sie den Ausgegrenzten und Marginalisierten eine Plattform, um zu handeln und sich auszudrücken. Es ist die Technik, die die Stimmen der Toten vernehmbar macht. Werden sie gehört, so kehren sie unter die Lebenden zurück, um artikuliert zu werden, um die Kartierungen und Erfahrungen jener Welten zum Ausdruck zu bringen, die in diesen Sprachen enthalten und beschrieben sind.

— Richard Grayson

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook
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