Lois Weinberger

Lois Weinberger, Debris Field—Exploration into the Decrepit (2010–2016), Totenbrett aus Holz mit Schnur, 18. Jahrhundert, 190 × 30 × 3 cm (Detail), Foto: Paris Tsitsos

Lois Weinberger, Debris Field, 2010–16, Installationsansicht, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Lois Weinberger, Ruderal Society: Excavating a Garden, 2017, Installation
, Karlsaue, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Pflanzen stehen im Mittelpunkt von Lois Weinbergers Diskurs über das Verhältnis zwischen Natur und Gesellschaft. Seine radikale Poetik des „Ruderalen“ – von Pflanzen, die in Brachlandschaft wachsen – wendet sich gegen die anthropozentrische Vorstellung einer „ursprünglichen Natur“ und „gegen die Ästhetik des Reinen und Wahren, gegen ordnende Kräfte“, wie er sagt. Der herangewehte Wildwuchs, der auf postindustriellen Brachen und an der städtischen Peripherie gedeiht, ist stofflich betrachtet ungezähmt und daher „natürlicher“ als die von der Gesellschaft streng kontrollierten Zonen heutiger „Wildnis“. Ruderalpflanzen sind die allgegenwärtige Unterklasse der Pflanzenwelt, die „Multitude“, die bereit ist, sich bei nächster Gelegenheit ihren Weg durch die Oberfläche der Stadt zu bahnen und den Firnis menschlicher Ordnung und Stabilität aufzubrechen.

Mit „präziser Achtlosigkeit“ schafft der 1947 im österreichischen Stams geborene Weinberger Situationen, in denen diese botanischen Aufständischen den unaufhaltsamen Zyklus von Wachstum und Verfall unbeachtet von der menschlichen Gesellschaft aufführen – einen „ORT / AN DEM SICH DAS LEBENDIGE SICHTBAR ÜBER DAS ORDNENDE ZEIGT“ in einem beständigen Prozess der Transformation. Zwanzig Jahre nach seinen ruderalen Interventionen am Kulturbahnhof für die documenta X (die inmitten der stillgelegten Bahngleise des alten Europas bis heute gedeihen) lautet der Titel von Weinbergers neuer Außenarbeit für Kassel Ruderal Society—excavating a garden. Der Künstler beschreibt das Projekt als archäologischen Prozess; quer durch den Park neben der Orangerie hat er einen Graben ausgehoben und ihn dann sich selbst überlassen. Am Ende dieser „Lücke im urbanen Raum“ ist durch das Aufschieben ein kleiner Hügel entstanden. Die freigelegte Erde wird sich mit der Zeit mit „spontaner Vegetation“ füllen, welche Wind, Insekten und Vögel hierhertragen.

In Athen stellt Weinbergers Installation Debris Field die „Funde“ eines weiteren Grabungsprozesses vor, diesmal des Sichtens der Ebenen von Geschichte, von Dingen, die sich unter den Dielen des elterlichen Bauernhofs im österreichischen Tirol angesammelt haben. Die so entstehende Anordnung ist ein Garten der Relikte, bestehend aus den verstreuten Überresten von Jahrhunderten ländlichen Lebens. Wie in seinen Pflanzenprojekten werden die Fundstücke zum künstlerischen Medium. So erläutert Weinberger in der Begleitpublikation: „Ich nehme die vermutlichen Beweggründe, die einem Objekt zugrunde liegen, auf / um abermals Arbeiten herzustellen, welche die ursprünglichen Intentionen freilegen und erweitern.“ Jeder Gegenstand hat – wie von einem verborgenen Geist belebt – sein eigenes Geheimnis, das er aus „der Archäologie einer magisch ritualisierten Atmosphäre“ bezieht. Weinberger bezeichnet sein Projekt als eine „Ethnologie“, und seine Reflexionen über die Funde – sei es in Form von Zeichnungen, Objekten, Notizen, fotografischen Arbeiten oder in Form der Publikation – sind wesentlicher Bestandteil seiner Arbeit.

— Tom Trevor

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook