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Die verwunschene Stadt 

Palazzo della Civiltà Italiana, Rom (1952), Schwarz-Weiß-Fotografie

Links beginnen die Arkaden, die in perspektivischer Verkürzung fast bis zum Horizont verlaufen. Zehn Rundbögen lassen sich ausmachen. Über neun von ihnen befinden sich rechteckige Fenster, ein zehntes ist, nah am oberen Bildrand, in einen vertikalen Anbau eingefügt, der ebenso karg und ornamentlos aussieht wie die restliche Fassade. Genau genommen sind die Fenster nur schwarze Löcher, so schwarz und abweisend wie der leere Raum in den Arkaden. Ein mächtiger Schatten fällt wie ein riesiger Finger über den sandfarbenen Platz und trifft auf das Gebäude, wo er, abgeknickt und aufgehellt, über die weiße Mauer gleitet und vom ersten Bogen verschluckt wird. Er gehört zu dem schemenhaft angedeuteten, turmähnlichen Bau auf der gegenüberliegenden Seite des nach vorn abschüssigen Platzes. Die untere Bildhälfte wird von der Silhouette einer Dampflokomotive dominiert. Zum Horizont hin wird der tiefblaue Himmel deutlich heller und verfließt schließlich in einem schrillen Gelb. Hinter der menschenleeren Piazza, die der große schräge Schatten zu einem Dreieck verformt, erkennt man noch einen dunklen Streifen. Dort muss das Meer sein.

La Matinée angoissante heißt dieses spartanische Bild, das der 24-jährige, im griechischen Volos geborene Giorgio de Chirico 1912 in Paris gemalt hat, eines seiner ersten mit diagonalen Arkaden. Wie die literarischen Bilder von Franz Kafka, dem anderen Seismografen, sind auch die gemalten von de Chirico zu sprichwörtlichen Referenz- und Reizfiguren der Moderne geworden. Als eine „Kreuzung aus de Chirico, Kafka und Tod“ hat Richard Serra das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas einmal bezeichnet.1 Barack Obama entdeckte die ominösen Schatten 1988 auf der Plaza Mayor in Madrid.2 Aber das Vorleben der Bilder ist mindestens so kompliziert und widersprüchlich wie ihr Nachleben.

Neben den Häuserfassaden, meist mit Arkaden, finden sich in diesen dystopischen Ansichten riesige Türme mit merkwürdigen Fähnchen, Fabrikschlote und einsame Statuen. Sind es Vorposten an den Rändern der Moderne? Oder ihre Ruinen, die verschwinden werden? Beim Versuch, sie zu lesen, wird man zum Zeitreisenden und Touristen. Eine Uhr wie in La Récompense du divin (1913), wo sie nur elf Ziffern hat, bedeutet, dass wir es mit einem Bahnhofsgebäude zu tun haben. Dann wieder stehen auf einer Piazza, sehr klein und verloren, zwei trauernde menschliche Figuren herum. Oft fährt am Horizont, hinter einer Mauer, ein Zug durch die imperiale Wüste. Zu diesen Motiven gesellen sich in Paris weitere: exotische Früchte (Bananen, Ananas), Palmen, Artischocken, eine antike Büste oder ihr Gipsabdruck, ein roter Gummihandschuh, Kinderspielzeug. Es sind die Jahre kurz vor dem Ersten Weltkrieg, als die Italiener Tripolitanien, die Cyrenaika – das heutige Libyen – und den Dodekanes besetzen. Fast zur gleichen Zeit kämpfte die griechische Armee in Thessalien, wo de Chirico und sein jüngerer Künstlerbruder, der sich später Alberto Savinio nannte, aufgewachsen waren, im ersten Balkankrieg gegen die türkische. Das Militär benützte die Bahnlinie, die de Chiricos Vater von Volos nach Milies gebaut hatte. Sicher haben Giorgio und Andrea de Chirico die Berichte vom Balkankrieg und von den kolonialen Abenteuern der Italiener in den Pariser Zeitungen verfolgt. Marinettis Kriegsreportagen aus Tripolis und Adrianopel erschienen auf Französisch in L’Intransigeant und Gil Blas.

Laut den Memoiren des Malers soll bei seiner Geburt ein heißer Wind aus Afrika, von den Griechen livas genannt, durch die Stadt geweht haben.3 Livas (oder Lips) war der Gott des Südwestwinds, der aus Libyen kommt; Africus nannten ihn die Römer. Volos ist übrigens das antike Iolkos, von wo der Sage nach Jason und die Argonauten aufgebrochen waren, um das Goldene Vlies zu rauben. De Chirico ist ein klassischer Diskurskünstler, der über Bauchrednerei und Mimikry Bescheid weiß; Also sprach Zarathustra und Pinocchio gehen bei ihm zusammen. Es lassen sich unschwer Vorlagen für seine Architektur benennen, vom Klassizismus der Feldherrnhalle und der Hofgartenarkaden in München über die Piazza Santa Croce und Brunelleschis Ospedale degli Innocenti in Florenz bis zu den endlosen Arkaden in Turin. Friedrich Nietzsche, der Lieblingsphilosoph der Vaterlosen, entdeckte die Stadt am Po für sich 1888, im Geburtsjahr de Chiricos. Turin ist die Stadt der großen Plätze und Reiterdenkmäler. Zu den römischen Reminiszenzen gehören das Mausoleum der Caecilia Metella an der Via Appia und der Vesta-Tempel, vor allem aber die allgegenwärtigen antiken Rundbögen. In Ferrara kommen während des ersten Weltkriegs Fabriken und das Castello Estense hinzu.

Doch genauso wichtig ist die gemalte Architekturgeschichte, von Giotto bis Böcklin. Jeder junge Künstler hat schon unzählige Bilder gesehen, bevor er selber welche kreiert. Die seltsam verschobenen Perspektiven erinnern an Darstellungen der Idealstadt, wie man sie aus den drei Francesco di Giorgio zugeschriebenen Quattrocento-Tafeln kennt. Man kann sich auch fragen, ob nicht das Eckgebäude von Nature morte. Printemps à Turin und Le Jour de fête (beide 1914) auf ein drei Jahre zuvor entstandenes Foto von Eugène Atget aus der Serie L’Art dans le vieux Paris zurückgeht. Atget wohnte am Montparnasse nur ein paar Häuser weiter; auf seinem Türschild stand „Documents pour artistes“. De Chirico kopierte auch aus dem Handbuch Répertoire de la statuaire grecque et romaine des Kunsthistorikers und Religionswissenschaftlers Salomon Reinach, der an der École du Louvre vielbesuchte Vorträge hielt. Die Kupferstiche von Piranesi, dem großen Gedächtniskünstler, kannte er wahrscheinlich seit seiner Münchner Studienzeit. Im Vorwort zu Prima parte di Architettura e Prospettive (1743) ist von den „sprechenden Ruinen“ die Rede. Auch bei Piranesi finden sich die im Vergleich zu den steinernen Überbleibseln unverhältnismäßig kleinen menschlichen Gestalten. Der Einfluss der Carceri (1750) auf George Dances architecture parlante lässt sich am Neubau des Newgate-Gefängnisses in London ablesen. So ähnlich scheint de Chiricos Architektur in der gebauten des italienischen Faschismus wiederzukehren, um sich schließlich, ganz posthistorisch, als populärkulturelle Chiffre aus der Geschichte zu verabschieden.

Hinter den Kulissen von „Chirico City“4 ist eine unheimliche Kombinatorik voller Familiengeheimnisse und sonstiger Anomalien – zum Beispiel die irritierende perspektivische Darstellung mit multiplen Fluchtpunkten – am Werk. Die allegorische, palimpsestähnliche Stadt ist erfüllt vom Pathos der Leere und Absenz. Wie jede Stadt hat sie ihr eigenes Gedächtnis. Noch in den fünfziger Jahren fantasierte in Paris der junge, verrückte Ivan Chtcheglov, Mitglied der Situationistischen Internationale „aus der Ferne“, in seinem Formulaire pour un urbanisme nouveau von den zukünftigen Möglichkeiten dieser Architektur und ihrem Einfluss auf die Massen.5 Dass Städte Erinnerungsstätten sind, wo das Vergangene ständig und konfliktreich auf die Gegenwart stößt, hat Aldo Rossi zwei Jahrzehnte nach dem Ende des italienischen Faschismus in seiner Schrift L’architettura della città (1966) zu einer Kritik am modernen Städtebau der Le-Corbusier-Ära ausgeweitet. Noch radikaler wurde sie im Monumento Continuo-Storyboard von Superstudio formuliert.

De Chiricos vagabundierende Architektur ist nicht zeitlos, sondern ein spezieller Fall von Anachronie. Als er nach dem Ersten Weltkrieg, unmittelbar vor seinem selbstverordneten retour à l’ordre, mehrere Essays und Manifeste zur metaphysischen Malerei nachlieferte, publizierte Sigmund Freud gerade seinen Aufsatz über das Unheimliche. Insgesamt vierundzwanzig Mal machte der Erfinder der Psychoanalyse Urlaub in Italien, trotz seiner ausgeprägten Phobie vor Zugreisen. In seinem Text erinnerte er sich, ohne die Stadt beim Namen zu nennen, an eine Episode aus seiner kurzen Zeit als Medizinstudent in Triest (wo im Juni 1768 Winckelmann ermordet worden war) – ein Fallbeispiel für die „unbeabsichtigte Wiederkehr des Gleichen“.6 Freud schildert, wie er sich an einem heißen Sommernachmittag in den ihm unbekannten, menschenleeren Straßen verläuft. Er gerät in eine Gegend, wo „nur geschminkte Frauen an den Fenstern der kleinen Häuser“ zu sehen sind, und beeilt sich, die enge Straße zu verlassen. Aber wenig später findet er sich an derselben Stelle wieder, und seine kleine Odyssee wiederholt sich auch noch ein drittes Mal: „Dann aber erfasste mich ein Gefühl, das ich nur als unheimlich bezeichnen kann, und ich war froh, als ich unter Verzicht auf weitere Entdeckungsreisen auf die kürzlich von mir verlassene Piazza zurückfand.“7 Es ist die Psychogeografie einer südländischen Stadt, die ihn zugleich verwirrt und aus seiner Not rettet.

Giorgio de Chirico, Étude pour L’Après-midi d’Ariadne (1914–1915), Bleistift auf Papier, 18 × 14 cm. Musée Picasso, Paris

Für Freud war das Unbewusste zeitlos und unveränderlich – wie eine Ruinenlandschaft, die auf den Archäologen wartet. Das alte Rom mit seinem Über- und Nebeneinander von Architekturresten aus allen möglichen Epochen diente ihm als Modell für die moderne Psyche. Im Alter von achtzig Jahren kommt Freud auf eine „Erinnerungsstörung“ zurück, von der er im Spätsommer 1904 auf der Akropolis in Athen heimgesucht worden war. Als er, aufgrund einer Last-Minute-Entscheidung, nach der Überfahrt von Triest via Brindisi vor den weltbekannten Ruinen auf der Akropolis steht, denkt er verwundert: „Also existiert das alles wirklich so, wie wir es auf der Schule gelernt haben!“8 Ruinen enträtseln sich nicht von selbst.

Im Mai 1911 macht sich ein junger Zeichner aus dem Berliner Büro von Peter Behrens mit seinem Freund auf eine längere Reise, die sie in den nächsten Monaten über Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest, Konstantinopel nach Athen und weiter nach Neapel, Pompeji, Rom und Florenz führen wird. Er bewundert die Schönheit türkischer Frauen durch ihre schwarzen Schleier hindurch und ist erfreut, als sich eine bei ihm mit den Worten „Sprechen Sie Deutsch?“ revanchiert. Unzählige Fotos, Skizzen und Aufzeichnungen entstehen. In Athen erkundet er wochenlang ungestört die Akropolis; wegen der Cholera (Thomas Mann begegnet ihr in Venedig) sind nur wenige Touristen unterwegs. Charles-Édouard Jeanneret-Gris ist der Name des jungen Mannes aus La Chaux-de-Fonds.9 Einige der Zeichnungen reicht er 1912 beim Salon d’Automne ein, wo er La Maison cubiste sieht und wo auch der fast gleichaltrige de Chirico zum ersten Mal drei Bilder ausstellt.

Ende Juli 1933 lud Le Corbusier, wie er sich seit 1920 nannte, zu einer Kreuzfahrt im Mittelmeer an Bord der SS Patris II. Der vierte Congrès International d’Architecture Moderne (CIAM) hätte eigentlich in Moskau stattfinden sollen, aber nachdem Le Corbusiers Wettbewerbsbeitrag für den Palast der Sowjets abgelehnt worden war (Stalin hatte andere Ideen), entschied man sich für die sommerliche Kreuzfahrt von Marseille nach Athen. Als Thema wählte man „Die funktionelle Stadt“. Aus Italien waren Piero Bottoni, Giuseppe Terragni, Gino Pollini und Pietro Maria Bardi, der Herausgeber der Monatszeitschrift Quadrante, angereist. Diesmal waren auch die Ehefrauen der internationalen Architektengilde und einige Gäste zugelassen; László Moholy-Nagy dokumentierte den schwimmenden Kongress mit seiner Filmkamera. Das Szenario erinnert entfernt an Godards Film Socialisme, wo einmal Alain Badiou auf der Costa Concordia – in einem leeren Saal, ohne Publikum – über Husserl und die Geometrie sinniert. Ergebnis der 14-tägigen Schifffahrt mit Zwischenstopps und Ausflügen zu antiken Ausgrabungsstätten, unter anderem zu den Steinzeitruinen auf Gozo, Chirokitia und den Kykladen, war die ebenso einflussreiche wie verhängnisvolle „Charta von Athen“. Le Corbusier publizierte sie erst 1943. Sie sollte den globalen modernistischen Städtebau auf Jahrzehnte prägen.

Charles-Édouard Jeanneret auf der Akropolis (September 1911), Schwarz-Weiß-Fotografie

Leere ist verführerisch, sie lädt dazu ein, sich in kolonialen Fantasien zu verlieren. Architekten und Ausstellungsfotografen wissen es und spielen damit. Wie soll man mit Chirico City umgehen? Wie erobert man eine imaginäre Stadt? Anfang der zwanziger Jahre verabredete sich André Breton mit Man Ray zu einer Foto-Performance vor de Chiricos L’Énigme d’une journée (1914) als Kulisse. Breton ruht in Seherpose vor dem großformatigen Bild, den Kopf gegen die gemalten Arkaden gelehnt. Seine Körperhaltung erinnert an de Chiricos Ariadne-Darstellungen, ebenso an Murnaus Nosferatu. Von seitwärts fällt Licht auf sein Gesicht, in genau auskalkulierter Fortsetzung der lichtüberfluteten Piazza mit dem abgestellten Möbelwagen und den beiden winzigen, anonymen Figuren weiter hinten. Breton blockiert den spitzen Schatten, der sich mit dem der autoritären Cavour-Statue vereinigt hat.

Man Ray, André Breton in front of Giorgio de Chirico’s L’Énigme d’une journée (ca. 1922), Silbergelatineabzug, 22 × 16,5 cm

Einige Jahre später, nachdem die Surrealisten den auf malerischen Abwegen wandelnden de Chirico für tot erklärt hatten („Ci-gît Giorgio de Chirico“), aber weiterhin seine frühen Bilder ausstellten und publizierten, veranstalteten sie eine Umfrage zu L’Énigme d’une journée. Das Original befand sich mittlerweile im Besitz von Breton, der 1927 in die Kommunistische Partei eingetreten war. Paul Éluard hatte die fünfzehn Fragen formuliert, darunter: Wo ist das Meer? Antwort: Hinter der Statue; in den Arkaden; zehn Kilometer hinter den Schornsteinen. Wo wird das Gespenst erscheinen? In der zweiten Arkade; in der Mitte des Platzes; es steigt aus dem Möbelwagen. An welcher Stelle wird man sich lieben? Im Sockel der Statue; hinter oder auf dem Möbelwagen; bei der Lokomotive oder zwischen den Arkaden und dem linken Schornstein.10 Unter den Illustrationen zu Bretons Roman Nadja findet sich eine Reproduktion von L’Énigme de la fatalité (1914). Über das im Buch skizzierte poetisch-politische Wunschprogramm schrieb Walter Benjamin: „Im Glashaus zu leben ist eine revolutionäre Tugend par excellence.“11 Zur selben Zeit, im Juli 1929, verkündete auch Mussolini, dass der Faschismus ein Glashaus sei, in das alle hineinsehen könnten. Mit seiner Casa del Fascio in Como setzte Terragni dieser Sicht ein bleibendes Denkmal. Ein retuschiertes Foto zeigt die davor auf der Piazza dell’Impero versammelten Massen, die Mussolinis Radioansprache anlässlich der Einnahme von Addis Abeba lauschen.

Fotografie friert die Zeit ein, doch abgesehen davon, dass sie Präsenz beglaubigt, verrät sie uns, wie Geschichte inszeniert wird. Es ist die Promiskuität der Zeit, die im dialektischen Bild lauert und für Unruhe sorgt. Auf einer Schwarz-Weiß-Aufnahme ist der von La Padula, Guerrini und Romano entworfene Palazzo della Civiltà Italiana in Rom zu sehen, das Wahrzeichen der Esposizione Universale di Roma (EUR), die 1942 zur Zwanzigjahrfeier von Mussolinis Machtergreifung hätte stattfinden sollen. Mit seinen 216 falschen Rundbögen auf sechs Stockwerken ist das „Colosseo quadrato“ – eine Konstruktion aus Stahlbeton, mit Travertin verkleidet – eines der prominentesten Beispiele für die Architektur von Chirico City. Die Anzahl der Bögen entspricht senkrecht den sechs Buchstaben von „Benito“ und waagrecht den neun von „Mussolini“. Seltsamerweise fehlen in der Inschrift über den Arkaden („Ein Volk der Dichter / der Künstler / der Helden / der Heiligen / der Denker / der Wissenschaftler / der Seeleute / der Wandernden“) die Architekten. Das Foto von 1952 dokumentiert die Nachkriegssituation, als die EUR-Bauten mehrere Jahre lang sich selbst überlassen blieben. Es zeigt die nordöstliche Ecke mit einem monumentalen leeren Sockel, der schräg nach hinten verläuft. 1940 hatte der Bildhauer Publio Morbiducci, ein treuer Dekorateur des faschistischen Ventennio, mit der Arbeit an den Statuen der Dioskuren und sich aufbäumenden Pferde begonnen; 1956 wurden sie aufgestellt. Auf der Treppe vor der ersten Arkadenreihe steht einsam eine zur Signatur geschrumpfte männliche Gestalt im dunklen Mantel. Man erkennt sofort, auf welchen Effekt der Fotograf es abgesehen hatte.

Massenauflauf vor Giuseppe Terragnis Casa del Fascio in Como, 5. Mai 1936, Schwarz-Weiß-Fotografie veröffentlicht in Quadrante, Nr. 35/36 (1936)

Es dauerte nicht lange, bis die verwaiste Architektur als Filmkulisse ihre Wiederauferstehung feierte. Dazu bedurfte es in Italien weder einer damnatio memoriae noch einer besonderen Umkodierung. Den Beginn macht – wie könnte es anders sein? – Roberto Rossellinis melodramatisches Reenactment, das viele für dokumentarischen Realismus hielten. In Roma, città aperta ist es der Gestapo-Chef, der die Ewige Stadt in ein kartografisches Projekt verwandelt hat. Vor dem Colosseo quadrato verüben die italienischen Widerstandskämpfer einen Anschlag auf den Nazi-Konvoi und befreien ihre Kameraden. Nur für die Dauer eines Augenaufschlags erscheint der Bau in Antonionis kompromisslos modernistischem Film L’eclisse (1962). Im gleichen Jahr diente er in Fellinis erstem Farbfilm Le tentazioni del dottor Antonio, einer Episode für Boccaccio ’70, als Bühne für Anita Ekbergs überlebensgroßen Auftritt als Sexgöttin. Ende der sechziger Jahre wählte dann Bertolucci für einige Szenen von Il conformista den Palazzo della Civiltà sowie den nach zehnjähriger Unterbrechung 1954 vollendeten Palazzo dei Congressi von Adalberto Libera als Drehort. Vermutlich kommt aber der elegische Vampirfilm The Last Man on Earth (1964), ein B-Movie nach dem Science-Fiction-Roman I Am Legend von Richard Matheson, dem auratischen Architekturgespenst der faschistischen Moderne am nächsten.12

Die beiden Standardrituale der städtebaulichen Modernisierung unter Mussolini hießen sventramento und isolamento. In gewissem Sinn bedient sich de Chirico in seiner Malerei ähnlicher Mittel. Durch den Abriss ganzer Straßenzüge wurden gewachsene Stadtstrukturen und Quartiere zerstört, Tausende Bewohner wurden in neue Vorstädte umgesiedelt, und mit ihnen verschwand ein Stück Stadt- und Sozialgeschichte. Gleichzeitig wurden Architekturdenkmäler aus dem Rom der Kaiserzeit freigestellt, wobei als minderwertig eingestufte historische Bausubstanz der Politik der Spitzhacke („la parola al piccone“) zum Opfer fiel. Der Archäologie kam dabei eine ebenso rhetorische Funktion zu wie der Architektur; sie zielte auf die Rückeroberung der glorreichen Altertümer und machte sie zu Komplizen kommender Größe. Es ging um romanità und deren wirkungsvollste Verbreitung. Der Duce entschied darüber, was wert war, erinnert zu werden, und was in Vergessenheit geraten sollte. Es war, als führte er Krieg gegen die zivilisatorische Sedimentation vergangener Jahrhunderte. Der Faschismus verwirklichte nicht nur sein ehrgeiziges Bauprogramm – in keinem anderen Land entstand in der Zwischenkriegszeit so viel moderne Architektur wie in Italien –, er hat auch nachhaltig unsere Wahrnehmung der Antike, des Mittelalters und der Renaissance beeinflusst. Ein Zeugnis von vielen ist die von der Brigata Aretina Amici dei Monumenti zusammen mit Giuseppe Castellucci und Umberto Tavanti aufwendig betriebene Restaurierungskampagne zur Ummodelung von Arezzo in eine Touristenattraktion.13

Anita Ekberg in Federico Fellinis Le tentazioni del dottor Antonio (1961), Teil des Episodenfilms Boccaccio ’70 (1962), Produktionsstill

Noch immer sieht man Rom so, wie Mussolini es wollte. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Via dell’Impero – heute Via dei Fori Imperiali – zwischen der Piazza Venezia und dem antiken Kolosseum, die das Forum Romanum und die Kaiserforen entzweischneidet. Nach dem Vorbild des Barons Haussmann wurden 1931 in einem der am dichtesten besiedelten Stadtbezirke mehr als 5.000 Wohneinheiten, Kirchen, Paläste, Gartenanlagen über den Kaiserforen dem Erdboden gleichgemacht, um die freie Blickachse auf das isolierte, in eine Verkehrsinsel verwandelte Kolosseum herzustellen. Als Mussolini am 9. Mai 1936 vom Balkon des Palazzo Venezia die Wiederkehr des Imperiums „sui colli fatali di Roma“ proklamierte, dachte er sicher nicht mehr daran, dass er wenige Jahre zuvor einen dieser Hügel hatte beseitigen lassen. Der Velia-Hügel fiel der Via dell’Impero zum Opfer, ohne dass weitere archäologische Untersuchungen angestellt worden wären. Ungefähr 300.000 Kubikmeter Erde, voll mit Relikten aus zweitausend Jahren römischer Stadtgeschichte, wurden weggeschafft und irgendwo außerhalb der Stadt Richtung Meer abgeladen. Mussolinis vierspurige Prachtstraße war die moderne Via Sacra der faschistischen Militärparaden. Die Wiedergeburt Italiens sei eine große Errungenschaft, erklärte de Chirico 1938, gerade aus New York zurückgekehrt, in einem Interview mit der Zeitschrift L’illustrazione italiana. „Die Via dell’Impero hat mich mit ihrer Schönheit überrascht.“14

Von Marcello Piacentini, der als des Duce mächtigster Architekt über den EUR-Masterplan wachte, wusste die Große Sowjetische Enzyklopädie einst zu berichten, dass seine Architekturformen auf de Chiricos pittura metafisica zurückgingen. Nachdem es den jungen Rationalisten um Pietro Maria Bardi nicht gelungen war, die rationalistische Ästhetik als offiziellen faschistischen Architekturstil zu etablieren, erwies sich Piacentini als moderater Diktator der janusköpfigen italienischen Architektur. Er plante, baute, vergab Aufträge und lehrte. Achillina Bo – nach ihrer Heirat Lina Bo Bardi – studierte bei ihm an der Universität La Sapienza, deren Campus er konzipiert hatte. Der brasilianischen Regierung schickte Piacentini den Plan für eine monumentale Cidade Universitária in Rio de Janeiro. Für die Neugestaltung der kolonnadengesäumten Via Roma in Turin und der Piazza della Vittoria in Brescia ließ er die alten Häuser reihenweise niederreißen.

Anfang Februar 1974 sendete die RAI den kurzen Dokumentarfilm Pasolini e la forma della città. Darin monologisiert Pier Paolo Pasolini zunächst über die Schwierigkeit, die Form einer Stadt als Ganzes zu erhalten. Er verdeutlicht das mit seiner Kamera anhand des alten, nördlich von Rom gelegenen Städtchens Orte und vergleicht es mit Sana’a im Jemen und Bhaktapur in Nepal. Dann kommt er auf Sabaudia, eine der fünf città di fondazione in den trockengelegten Sümpfen des Agro Pontino, zu sprechen. Die Vorzeigestadt des Razionalismo wurde in wenigen Monaten, zwischen August 1933 und April 1934, nach den Plänen von Luigi Piccinato, Gino Cancellotti, Eugenio Montuori und Alfredo Scalpelli errichtet. Le Corbusier, der sich erfolglos um den Auftrag für Pontinia bemühte, kritisierte sie als zu verträumt und romantisch. Inmitten der Sanddünen stehend, preist Pasolini die metaphysischen De-Chirico-Qualitäten von Sabaudia. Die Stadt war zwar vom faschistischen Regime erbaut worden, aber er fand hier das provinzielle, ländliche, „paläoindustrielle“ Italien verwirklicht. In Pasolinis ambivalenter Polemik war die Homogenisierung durch die Konsumgesellschaft der schlimmere Faschismus.

Nach einer lateinischen Überlieferung hauste auf dem nahe gelegenen Monte Circeo die Zauberin Circe, die, wie wir aus Homers Odyssee wissen, Männer in Tiere verwandeln konnte und irgendwann in Italien gestrandet war. Der 1934 gegründete Parco Nazionale del Circeo ist 1977 in die UNESCO-Liste der Biosphärenreservate aufgenommen worden. Über zwanzig Kilometer erstrecken sich die Sandstrände am Tyrrhenischen Meer entlang. Hier bauten sich Alberto Moravia und Pasolini ein Doppelhaus in den Dünen; es gibt auch ein paar Fotos mit Maria Callas. Sabaudia erinnerte Moravia an Afrika – und an de Chirico. Bernardo Bertolucci, der die Anfangssequenzen seines Films La Luna (1979) in Sabaudia drehte, hat 2014 in London erzählt, wie sich die Wahrnehmung der Stadt im Lauf der Jahre veränderte. In den fünfziger Jahren war sie noch mit dem verhassten faschistischen Regime assoziiert worden. In den siebziger Jahren wurde sie, wie durch Zauberhand, zu einem von aller Welt bewunderten Symbol der rationalistischen Architektur – wie geschaffen für einen Film.15

Das Colosseum in Rom wird nach dem Abtragen des Monte Velia von der Piazza Venezia aus sichtbar, 6. September 1932, Schwarz-Weiß-Fotografie

Seit Februar 2015 hat die Stadt ihre Piazza Moravia; auch nach Pasolini soll eine Straße benannt werden. Ob Moravia, als er Afrika erwähnte, an die italienischen Kolonien dachte? Pasolini hatte sie in seinen Filmen eher gemieden und lieber Drehorte in Uganda, Jemen, Nepal, Kappadokien und Tansania aufgesucht. Piccinato hatte an einigen Projekten in Libyen mitgearbeitet und 1933 auf der Triennale in Mailand für seine Casa coloniale den großen Preis erhalten. 1936 publizierte er in der Zeitschrift Domus drei Artikel zur Architektur in den Kolonien. Im gleichen Jahr veröffentlichte Giovanni Pellegrini, der von Mailand nach Tripolis übersiedelt war, sein Manifesto dell’architettura coloniale. Auf der Konferenz des Istituto Nazionale di Urbanistica in Rom wurden 1937 die neuen Städte des Agro Pontino (Littoria, Sabaudia, Pontinia, Aprilia, später kam noch Pomezia dazu) als Modelle für die Siedlungspolitik in Africa Orientale Italiana (AOI) präsentiert.16

Es sind vor allem die von Pellegrini, Florestano Di Fausto und Umberto Di Segni meist im Auftrag des Ente per la Colonizzazione della Libia (ECL) für italienische Siedler in Libyen konzipierten modernistischen Dörfer, die einen in ihrer modulartigen Komposition an de Chiricos Architektur denken lassen. Di Fausto war seit den zwanziger Jahren auf Rhodos, Kos und in Albanien tätig gewesen. Er errichtete italienische Botschaften und Konsulate in Belgrad, Algier, Kairo, Ankara und Tunis und war bald als Spezialist für mediterraneità der meistbeschäftigte Architekt in Tripolis.17 Die neuen libyschen Siedlungen wurden nach italienischen Politikern, Kriegshelden und faschistischen Idolen benannt, wie Garibaldi, Crispi, D’Annunzio, Oberdan, Battisti, Maddalena, Oliveti, Breviglieri. Villaggio Oliveti heißt heute Jaddā’im, Crispi Tumminah, aus Battisti wurde Qarnadah, aus Breviglieri al-Khadra.

Villaggio Breviglieri, Tripolitanien (1938), Architekt: Umberto Di Segni, Schwarz-Weiß-Fotografie

Als ethnische, italienische Inseln auf enteignetem Land waren die Siedlungen in Tripolitanien und der Cyrenaika gedacht. Nach der Gefangennahme und Hinrichtung des libyschen Freiheitshelden Omar al-Mukhtār am 16. September 1931 – er hatte den erbitterten Widerstand der Senussi-Bruderschaft gegen die Besatzer organisiert – ging einer der grausamsten Kolonialkriege zu Ende. Fast die Hälfte der deportierten einheimischen Bevölkerung war in den italienischen Konzentrationslagern umgekommen. Um das Land touristisch zu erschließen, eröffnete das Ente Turistico ed Alberghiero della Libia (ETAL) achtzehn neue Hotels. Neben dem Casinohotel Uaddan in Tripolis (heute wird das Al Waddan Hotel von der InterContinental Hotels Group betrieben) baute und adaptierte Di Fausto noch Hotels in Nalut, Yafran sowie in der legendenumwobenen Oasenstadt Ghadames. Di Segni entwarf das Albergo delle Gazzelle in Zliten. Wie klein jede der neuen Siedlungen auch war, stets ähnelte sie einer italienischen Stadt. Um die zentrale, selbstreferenzielle Piazza gruppierten sich einige unverzichtbare Gebäude: Rathaus, Casa del Fascio, Kirche, Schule, Postamt, Krankenhaus, Polizeistation. Die etwa zehn neuen Postkartensiedlungen für Araber und Berber, zum Beispiel Villaggio Fiorita (al-Atrun), bestanden aus der mudīriyya, einer Moschee, einer Schule, einem Café und dem Soukh.

Vielleicht liegt es an den Arkaden, auf die man überall in den während des Faschismus errichteten Dörfern oder Städten trifft: „Afrikanisches Gefühl. Die Arkade steht für immer da.“18 Oder am sandfarbenen Boden, der in Libyen so aussieht wie in den Bildern von de Chirico. Das blendende Weiß der frühen Jahre, wie es die Schwarz-Weiß-Fotografien überliefert haben, hat sich im Lauf der Geschichte den Farben der Landschaft angeglichen. Chirico City passt am besten in die Provinz und in die ehemaligen Kolonien. Sie ist überschaubar, aber man weiß nie, was in ihr geschehen wird. Sie hat nichts mit der città nuova gemein, von der Antonio Sant’Elia träumte und deren Spuren sich in Rem Koolhaas’ eigenschaftsloser Stadt der Bigness und in der Zauberformel „Fascism minus dictator“ wiederfinden.19

Mehr als 140 neue Städte und Siedlungen wurden in Italien während des Ventennio errichtet, von Torviscosa im Friaul bis Segezia in Apulien und Borgo Bonsignore in Sizilien, von Arsia (Raša) in Istrien bis Carbonia auf Sardinien.20 Dazu kommen die vielen Bauprojekte in den Kolonien: auf den Inseln des Dodekanes, in Äthiopien, Eritrea, Somalia und in Libyen. Die Ähnlichkeiten mit Chirico City werden sichtbar, wenn man sich Fotos dieser Städte oder Entwurfskizzen ansieht. Nichts ist einfacher, als einen römischen Bogen auf ein Blatt Papier zu kritzeln; es funktioniert wie ein Taschenspielertrick. Jede Architektur beginnt, besonders in der vordigitalen Zeit, mit einer Zeichnung. Aber vor einer realen Architektur haben wir andere Empfindungen als vor einer gemalten, gezeichneten, fotografierten. Die perspektivische Darstellung ist etwas anderes als ein dreidimensionales Bauwerk, das man in einer bestimmten Perspektive sieht.21

Eine Stadt braucht kein Inkognito. Man kann sie betrachten, wie Constantin François de Volnay im elften Regierungsjahr Abdülhamids I., also 1784, auf die Ruinen von Palmyra und die syrische Wüste blickte und sich dabei seinen Träumereien über die Revolution hingab. Les Ruines, ou méditations sur les révolutions des empires erschien 1791, als die französische Nationalversammlung per Dekret den Louvre ins Leben rief. Drei Jahre nach der Eröffnung stellte sich der Ruinenmaler Hubert Robert in Form eines Gemäldes einen Umbau der großen Galerie vor; er malte auch gleich noch eine Ansicht des Museums als Ruine. Die Moderne erfindet und produziert Ruinen, sie gehören zu ihrem Inventar. Sie erinnern uns daran, dass es keine dem Politischen eigenen Orte, Handlungen und Formen gibt. Zeit und Gebrauch, Alter und Vernachlässigung nehmen der Architektur ihre Schrecken. An der Ruine, so Georg Simmel, lässt sich „oft eine eigentümliche koloristische Gleichheit mit den Tönen des Bodens um sie herum“ bemerken.22 Doch die Lebenserwartung von Architektur hat sich stark reduziert. Heute entscheidet man schon bei der Planung, wie lange Gebäude existieren sollen. Manchmal, zum Beispiel in Dubai, bleiben sie Investitionsruinen. Materialien wie Beton, Stahl und Glas verwittern nicht wie Marmor und Sandstein, sie widersetzen sich der Rückkehr zur Natur. Authentische Ruinen, so wie sie seit dem 18. und 19. Jahrhundert existierten, haben es in der Gegenwart schwer. Es gibt nichts, das ihre totale Kommodifizierung verhindern könnte. Im postkolonialen Limbus wächst und gedeiht die schöne neue Fetischwelt.

In einem futuristischen Nike-Werbespot für die Fußball-Europameisterschaft 2000 wird der Krieg in Zeiten des Hyperkapitalismus geübt. Schauplatz des Geschehens ist wieder einmal der Palazzo della Civiltà Italiana in Rom, nachts. Eine Elitetruppe, bestehend aus Fußballstars wie Davids, Figo, Bierhoff, Guardiola und Totti, erhält den Auftrag, in das Gebäude – augenscheinlich ein metaphysischer Hort des Bösen – einzudringen und einen kostbaren Nike-Ball („it’s rounder“) zu holen. Die Elitemänner klettern an Seilen die Arkadenfassaden hoch, stürmen ins Innere und kicken sich gekonnt gegen Hundertschaften maskierter Ninjas und Samurairoboter ihren Fluchtweg frei. Während sie mit einem Hubschrauber in die römische Nacht entschweben, explodiert das Colosseo quadrato. The Mission hieß der neunzig Sekunden lange Clip.

Nachdem der Palazzo della Civiltà Italiana zwischen 2008 und 2010 umfassend restauriert worden ist, erstrahlt er nun wieder in frischem Glanz. Im Juni 2013 fand dort ein mondäner Armani-Event vor geladenen VIPs statt, mit einer großen Modenschau und der Ausstellung Eccentrico, in der ausgewählte Entwürfe und Accessoires des Modeschöpfers von 1985 bis in die Gegenwart präsentiert wurden. Damals, 1985, hatte sich „Re Giorgio“ die Marmorstatuen der nackten Athleten im Stadio dei Marmi des Foro Italico (einst Foro Mussolini), westlich des Tiber am Fuß des Monte Mario gelegen, als Inspiration für eine Emporio-Armani-Werbekampagne auserkoren. Ein paar Wochen später, im Juli 2013, wurde bekannt, dass sich die EUR S.p.A. mit einem neuen Mieter auf einen Vertrag für die nächsten fünfzehn Jahre einigen konnte. Die im Jahr 2000 gegründete Aktiengesellschaft wird zu neunzig Prozent vom italienischen Finanzministerium und zu zehn Prozent von der Stadt Rom kontrolliert. Sie ist für die Verwaltung und Vermarktung der EUR-Immobilien zuständig und inzwischen so verschuldet, dass seit Anfang 2015 offen über den Verkauf einiger Bauten spekuliert wird.

Der neue Mieter des Colosseo quadrato ist das Modehaus Fendi, das zu Bernard Arnaults Luxus-Imperium LVMH Moët Hennessy Louis Vuitton gehört und seit 2005 im früheren Palazzo Boncompagni am Largo Goldoni residiert. Wie zuvor bereits Tod’s und Bulgari bei der Spanischen Treppe und dem antiken Kolosseum firmiert das Modelabel als Sponsor bei der Restaurierung von Roms weltbekannten Sehenswürdigkeiten: „Fendi for Fountains“ widmet sich dem bröckelnden Trevi-Brunnen und den Quattro Fontane auf dem Quirinal. Um die Fotosouvenirs – Platino- und Daguerreotypien unter dem Titel The Glory of Water – kümmert sich Karl Lagerfeld. Auch er ließ sich in den Gespensterarkaden des neuen Fendi-Headquarters den Hinweis auf de Chirico nicht entgehen. Die Branche liebt den Tigersprung in die Vergangenheit.

Villaggio Oliveti, Tripolitanien (1937), Architect: Florestano Di Fausto, Schwarz-Weiß-Fotografie

1 Zit. nach Kieran Long, „Peter Eisenman“, in: Icon, Nr. 025 (Juli 2005), S. 66–72.

2 Barack Obama, Dreams from My Father. A Story of Race and Inheritance, New York: Broadway Books 2004, S. 301. Die Erstausgabe erschien 1995, bevor Obama seine politische Karriere begann.

3 Giorgio de Chirico, The Memoirs of Giorgio de Chirico [1945], New York: Da Capo 1994, S. 14.

4 Die Bezeichnung stammt vom englischen Maler Gordon Onslow Ford (1912–2003).

5 Ivan Chtcheglov, „Formulaire pour un urbanisme nouveau,“ in: ders., Écrits retrouvés, Paris: Allia 2006, S. 12.

6 Sigmund Freud, „Das Unheimliche“, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 12, Frankfurt am Main: S. Fischer 1972, S. 260.

7 Ebd., S. 249.

8 Sigmund Freud, „Brief an Romain Rolland (Eine Erinnerungsstörung auf der Akropolis)“, in: ders., Gesammelte Werke, Bd. 16, Frankfurt am Main: S. Fischer 1972, S. 251.

9 Vgl. Le Corbusier, Journey to the East, Cambridge, MA/London: MIT Press 2007.

10 „Sur les possibilités irrationnelles de pénétration et d’orientation dans un tableau. Georgio [sic] Chirico: L’Énigme d’une journée (11 février 1933)“, in: Le Surréalisme au service de la révolution, Nr. 6, Mai 1933, S. 13–16. Deutsch in: Giorgio de Chirico – der Metaphysiker, hrsg. von William Rubin, Wieland Schmied und Jean Clair, München: Prestel 1982, S. 272–276.

11 Walter Benjamin, „Der Sürrealismus“, in: ders., Angelus Novus. Ausgewählte Schriften 2, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1988, S. 203.

12 Der Film war Vorbild für George A. Romeros Night of the Living Dead (1968).

13 Vgl. das Kapitel „Urban Politics. The Fascist Rediscovery of Medieval Arezzo“, in: D. Medina Lasansky, The Renaissance Perfected. Architecture, Spectacle, and Tourism in Fascist Italy, University Park, PA: Pennsylvania State University Press 2004, S. 107–145. Siehe auch Lasanskys Fallstudio „Urban Editing, Historic Preservation, and Political Rhetoric. The Fascist Redesign of San Gimignano“, in: Journal of the Society of Architectural Historians, 63, Nr. 3, September 2004, S. 320–353.

14 Interview mit Leonida Repaci, in: L’illustrazione italiana, 13. Februar 1938, zit. nach Maurizio Calvesi und Gioia Mori, De Chirico, Florenz: Giunti 1988, S. 45.

15 Vgl. Alessandro Allocca, „Sabaudia faceva vomitare Moravia e mio padre. Poi si sono ricreduti“, in: Corriere di Latina, 19. Februar 2014.

16 Mia Fuller, Moderns Abroad. Architecture, Cities and Italian Imperialism, London/New York: Routledge 2010, S. 147.

17 Florestano Di Fausto, „Visione mediterranea della mia architettura“, in: Libia, Nr. 9, Dezember 1937, S. 16–18.

18 Giorgio de Chirico, „Manuskript Paulhan, ca. 1911–1914“, in: ders., Das Geheimnis der Arkade. Erinnerungen und Reflexionen, hrsg. von Marianne Schneider, München: Schirmer/Mosel 2011, S. 96.

19 Rem Kohlhaas, „Junkspace“, in: ders., Content, Köln: Taschen 2004, S. 166.

20 Vgl. Antonio Pennacchi, Fascio e martello. Viaggio per le città del Duce, Rom/Bari: Laterza 2010.

21 Vgl. Peter Eisenman, „L’ora che è stata“, in: ders., Written in the Void. Selected Writings 1990–2004, New Haven/London: Yale University Press 2007, S. 118.

22 Georg Simmel, „Die Ruine“ [1907], in: ders., Jenseits der Schönheit. Schriften zur Ästhetik und Kunstphilosophie, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2008, S. 38.