Keimena #28: Don Giovanni

Montag, 26. Juni 2017, 24.00 Uhr auf ERT2
Don Giovanni, 1970, Italien, 73 Min.
Regie: Carmelo Bene

Carmelo Benes Film Don Giovanni aus dem Jahr 1971 ist keine Adaption der berühmten Geschichte von Don Juan. Vielmehr untersucht er kritisch die vielschichtige Legende vom wohlhabenden männlichen Sünder, der eine Frau nach der anderen verführt. Es ist ein Film über den Don Juanismus.

Benes Don Giovanni fügt der Geschichte der Darstellungen Don Juans keine weitere hinzu. Vielmehr nimmt er etwas von ihr weg. Er lässt Charaktere, Konflikte und selbst die ganze Liste weiblicher Geliebter des reichen Libertins wegfallen. Benes Don Juan ist nur in seiner eigenen verzerrten Vorstellungswelt ein Frauenheld.

Carmelo Bene war ein radikaler italienischer Theatermacher, der sich 1968 dem Film zuwandte. Als Regisseur, Drehbuchschreiber, Produzent und Star schuf er in fünf Jahren fünf experimentelle Spielfilme. 1973 ließ Bene das Kino hinter sich und ging wieder zurück ans Theater, weil, wie er rasch festgestellt hatte, seine Art des Filmemachens ihn zu sehr erschöpfte.

Die Tonspur zu Benes Don Giovanni umfasst das verstärkte Flüstern und Stottern von Stimmen, vibrierende Soundeffekte und Auszüge aus Opern sowie klassischer Musik.

Worte kommunizieren nicht bloß Bedeutung, sie erzeugen Gefühle.

Zuschauer_innen: Macht euch nicht die Mühe, einem Plot folgen zu wollen!

Dies ist ein Film über Performance, Gesten, Emotionen und Situationen.

In Benes Don Giovanni gibt es mehr als 4.000 Einstellungen in 73 Minuten. Der Film zerhackt Handlungen, Bewegungen und Räume. Die Charaktere ringen darum, einfache Aufgaben zu erledigen. Benes Don Juan kann nicht einmal einen Satz zu Ende sprechen, geschweige denn eine Frau verführen.

Benes Don Giovanni ist ein expressionistisches Kammerspiel über männliche Impotenz. Es entlässt den Don Juanismus aus der Legende heterosexuell-männlicher Promiskuität. Heterosexuelle Paarung klappt nicht! Stellt Gender und sexuelle Normen in Frage! Schreibt nicht die Geschichte fort – denkt sie neu!

—Marc Siegel, Filmwissenschaftler und Kurator

Gepostet in Öffentliches Fernsehen am 26.06.2017