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Den Ökozid-Genozid-Komplex beschreiben: Indigenes Wissen und kritische Theorie in der finalen Phase

Diese Lehre lässt sich ziehen: Was den Menschen widerfährt und was dem Land widerfährt, ist dasselbe.
– Linda Hogan

Klimachaos, globale Vergiftung, Massenaussterben. In einem weltweiten sozialen Prozess wurden die biophysikalischen Systeme der Erde verändert, das Klima destabilisiert und der Lauf der Evolution umgelenkt. Ironischerweise wurde das Wissen über die den gesamten Planeten bedrohende Krise in Forschungsprojekten zur Waffenentwicklung im Kalten Krieg gewonnen.1 „Es besteht eine direkte Beziehung“, schreibt die Theoretikerin und Aktivistin Winona LaDuke, eine Anishinaabekwe (Ojibwe), „zwischen dem Verlust von kultureller Diversität und dem Verlust von Biodiversität. Überall dort, wo noch indigene Völker leben, existiert auch eine entsprechende Enklave der Biodiversität.“2 In der Umkehrung gilt dies genauso, in Amazonien wie überall auf der Welt: „Seit 1900“, schreibt die Chickasaw-Dichterin und Schriftstellerin Linda Hogan, „sind mehr als die Hälfte der Stammesvölker Brasiliens ausgestorben.“3 Bereits vor zehn Jahren mahnte der damalige Exekutivsekretär der UN-Konvention für biologische Diversität, Ahmed Djoghlaf, dass jedes Jahr bis zu 55.000 Arten verschwinden, eine Quote, die die natürliche Hintergrund-Aussterberate um ein Tausendfaches übersteigt.4 Biologen sprechen heute üblicherweise vom sechsten Massenaussterben in der Geschichte des Planeten. Das letzte dieser Ereignisse war die Kreide-Tertiär-Grenze (KT-Grenze), bei der vor 66 Millionen Jahren die Dinosaurier ausgelöscht wurden.5 Waren Auschwitz und Hiroshima Manifestationen genozidaler Tendenzen, die sich in der Logik der Moderne entwickeln, dann steht der ökozidale Charakter des globalen sozialen Prozesses heute ebenso außer Zweifel. Die kritische Theorie beginnt gerade erst, über das Verhältnis von Ökozid und Genozid zu reflektieren.6 Doch indigene Stimmen erklären uns, wie sie es womöglich schon immer getan haben, dass diese Prozesse nicht voneinander zu trennen sind. Offensichtlich haben indigene Völker das Problem klarer verstanden und sich stärker betroffen gefühlt als die kritischen Theoretiker. Indigene Völker, die ihre Stimme erheben, die sich direkt an uns Moderne richten und massiv für die Verteidigung der Biosphäre kämpfen, sehen die Gefahr und erleben ein Wiedererstarken, von Idle No More und dem Indigenous Environmental Network bis zu La Via Campesina.7 Nur wenige politische Entwicklungen sind heute dermaßen inspirierend.

Klimachaos, globale Vergiftung, Massenaussterben. Man muss benennen, womit wir es heute zu tun haben – mit dieser neuen Situation. Welche Namen wir dafür wählen, setzt den Rahmen, bedingt, was möglich ist, gibt manchen Richtungen den Vorrang vor anderen. Doch jede Benennung der Lage beschwört Kämpfe und Gegenspieler herauf. Anthropozän? Wer ist der anthropos in den „anthropogenen“ Veränderungen?8 Dieses Geschehen ist noch nicht auserzählt. Verschiedene Geschichten, verschiedene Lektionen: Absage an die Hybris und die Dogmen des Wachstums oder Forderung nach neuen Meisterleistungen der Geotechnologie und der globalen Steuerung? Ist der Begriff des Anthropozäns letztlich nicht einfach nur ein neuer, mit wissenschaftlicher Aura strahlender Name für die Epoche, die von der kritischen Theorie als „kapitalistische Moderne“ bezeichnet wird? Mit dieser Formulierung waren das Problem, die Aufgabe und der Feind benannt. Die Tilgung, Auslassung oder Zensur des Attributs „kapitalistisch“ war bloße Vermeidung oder Verleugnung. Doch heute sehe ich mich gezwungen, dies zu überdenken. Das Kapital beherrscht den Planeten. Daran hat sich heutzutage nichts geändert. Aber könnte eine nichtkapitalistische oder sogar antikapitalistische Moderne die Rettung oder einen Ausweg bieten? Nein, das glaube ich nicht. Die fieberhaften Träume vom Fortschritt und von der Technowissenschaft, vom Vorwärtsstreben und von qualitativen Sprüngen, sind allzu tief in die Schädigungen und Verluste verstrickt. Man kann das Kapital nicht herauskürzen: Die Moderne ist die Welt, die von Kapital und Wissenschaft, von Nationalstaaten und transnationalen Konzernen geschaffen wurde. Doch ich kann mir eine Moderne und einen Modernismus vorstellen, die den Suizid, den Zusammenbruch oder die Niederlage des Kapitals überleben könnten – und bin nicht klüger als zuvor. Es besteht die Gefahr, dass die modernistische Disposition, die der Moderne zugrunde liegt, durchaus von kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen abzulösen sein könnte.

Heilerin Susie Jim Billie sammelt Farnblätter zur medizinischen Verwendung, Big Cypress Seminole Indian Reservation, Florida, 1985

Ohne das Kapital zu vergessen, werde ich mich also für folgenden Namen entscheiden: die Moderne.9 Die Moderne als solche: diese unbezwingbare Sucht nach Energie, Konsum, Neuheit, Geschwindigkeit; diese blinde Verehrung der Technologie und dieses blinde Vertrauen in die Wissenschaft; diese internalisierte Gefolgschaft für die Dogmen von Wachstum, Entwicklung und Fortschritt. All dies ausgelebt als unverminderter Druck, als Klammergriff, als materielle Kraft des Terrors. Zwanghaftes Vergnügen unter Bedingungen der sozialen Auslese der globalisierten Prekarität, der ökologischen ebenso wie der sozialen. Die Moderne ist unsere Zwangslage – der urban-industrielle Komplex von Ökozid und Genozid. Beunruhigenderweise ist es genau dies, was wir stoppen, unschädlich machen und hinter uns lassen müssen. Was würde es also bedeuten, sich der Moderne entgegenzusetzen, sich innerhalb der Moderne, aber gegen sie zu verorten, sich über sie hinaus zu orientieren? Neu an unserer Situation ist zweierlei: Der Ökozid ist so weit fortgeschritten, dass die gesamte Biosphäre sich heute in der Krise und im Unheimlichen befindet, und zweitens gehen die Beweise für die fehlende Nachhaltigkeit der Moderne ins öffentliche Allgemeinwissen ein. Diesen Schluss kann heute jeder ziehen. Was einst extrem gewesen sein mag, egal in welchen Worten aus welchem Munde in welchem Gespräch, wird bald banal sein. Die Moderne: ein ständiger, schmutziger Krieg gegen das Leben. Wir sind in die finale Phase eingetreten.

Was wird das Vermächtnis der Moderne sein, was ist es bereits: eine nachhaltig zerstörte Biosphäre und eine schwindende Gemeinschaft des Lebens, ein Planet in ökologischen Trümmern. Um in diesen Trümmern zu überleben, um Orte für das Bestehen der Menschen und möglichst vieler anderer Lebewesen zu bewahren, werden andere soziale Formen, andere Logiken und Relationen entwickelt werden müssen, die an die Stelle der Moderne treten können.10 Bei dieser Postmoderne handelt es sich jedoch nicht um diejenige, die 1979 vorzeitig verkündet wurde.11 Wenn sie sich zu zeigen beginnt, dann in lokalen Bestrebungen nach Altem ebenso wie nach Neuem. Sie wird sichtbar in praktischen, an der Basis stattfindenden Umwertungen umstrittener Begriffe wie Nachhaltigkeit und Widerstandskraft, in aufstrebenden DIY-Kulturen des Neulernens und des Übergangs, in Bewegungen für ein Recht der Erde und für radikale Demokratie, in nachhaltiger Landwirtschaft und Agrarökologie sowie in indigenen Kämpfen um Land, Würde, Nahrungssouveränität und das „gute Leben“ (sumak kawsay oder buen vivir). Heute, in der Krise, in der finalen Phase der Moderne, erstaunt mich die Kraft und der Großmut der indigenen Stimmen. Und ich muss mir Fragen über die kritische Theorie stellen – und über deren Grenzen. Ich frage mich: Kann die kritische Theorie sich öffnen, kann sie von indigenem Wissen lernen, ohne es sich einzuverleiben, ohne zu versuchen, es zu beherrschen? Könnte die Kunst ein dritter Ort sein, an dem die kritische Theorie und das indigene Wissen zusammenkommen und zu Verbündeten werden könnten?12 Um mich diesen Fragen auch nur annähern zu können, werde ich das Wagnis eingehen müssen, die Konventionen der kritischen Theorie, meine Komfortzone, zu verlassen und anders zu schreiben versuchen.


Die Grenzen der kritischen Theorie

Zwei Jahrzehnte lang habe ich meinen Lebensunterhalt damit verdient, kritische Theorie zu betreiben und zu lehren – eine radikale, kampforientierte Form des westlichen Rationalismus. Diese Theorie war ein mächtiges Instrument, um Herrschaft kenntlich zu machen, um die in den sozialen Beziehungen wirkende Gewalt darzustellen. Wie ich jedoch allmählich verstanden habe, hat auch sie ihre Grenzen. Die kritische Theorie, so wird mir gegenwärtig klar, verbleibt, ohne sich dessen bewusst zu sein, zu modern, um des ganzen Traumas und der Obszönität der Moderne gewahr werden zu können. Sie begreift diese Dinge, ohne sie zu fühlen, ohne zu trauern, ohne zu wehklagen. Genau diese Verweigerung oder diese Unfähigkeit, dieser Vorbehalt, ist das Moderne an ihr.

Die kritische Theorie kämpft für Gerechtigkeit mit einer Unerbittlichkeit, die halbblind ist: Während sie den Schmerz in der Welt sieht, bringt sie in ihrer Aufbietung der Vernunft ihre eigenen Gefühle des Schmerzes darüber ebenso selten zum Ausdruck wie sie sich zu ihnen bekennt. Doch für ein umfassendes Verständnis ist der Schmerz und die Trauer über das, was die Erkenntnis aufzeigt, erforderlich, unvermeidbar. Dieser Schmerz ist wesentlich, damit ein Druck zur Veränderung entstehen kann. Mit ihrer Darlegung der sozialen Gründe zielte die kritische Theorie darauf ab, das rationale Moment der Trauer zu sein – und hat die Gefühle anderen überlassen beziehungsweise dem Schweigen anheimgestellt. Heute bezweifle ich jedoch, dass eine solche Arbeitsteilung gerechtfertigt ist. Wenn Trauer ein Übergang zu politischer Aktion sein soll, dann müssen Vernunft und Gefühl gemeinsam wirksam werden. Selbst in der Kritik müssen Schmerz und Trauer hervorbrechen und geteilt werden. Die Furcht vor Gefühlsäußerungen kann zu einer Verdrängung des Gefühls führen, die gleichermaßen blind ist. Die im Gefolge des Zweiten Weltkriegs entwickelten Modelle der kritischen Theorie sind in ihrem Kontext zwar verständlich, waren jedoch vielleicht bereits damals zu restriktiv in Bezug auf die Emotion. Heute verlangen die Verwüstung durch das Massenaussterben, die ganze Katastrophe der Verknüpfung von Ökozid und Genozid mehr als nur rationale Formen der Trauer.

Während ich einst die Vorbehalte und inneren Zensoren akzeptierte, die mir von der kritischen Theorie eingeimpft wurden, hat mir die Arbeit der indigenen Theoretikerinnen Sandy Grande, Linda Tuhiwai Smith, Winona LaDuke und Robin Wall Kimmerer sowie der indigenen Dichterinnen und Schriftstellerinnen Linda Hogan, Leslie Marmon Silko und Louise Erdrich enorm dabei geholfen, mich von dieser Selbstzensur zu lösen.13 Und dafür ich bin ihnen dankbar. Auf mich selbst gestellt hätte ich kaum dieselbe Klarheit über die Grenzen meiner Praxis der kritischen Theorie gewinnen können. Insbesondere das Buch Red Pedagogy der Theoretikerin Sandy Grande, einer Angehörigen der Quechua, war faszinierend.14 Ich bin mir jedoch auch der Risiken bewusst, die entstehen, wenn Nichtindigene nach indigenem Wissen streben: Missverständnisse, Entstellungen, Unterschlagungen. Doch es steht viel auf dem Spiel, und daher scheint mir der Versuch notwendig zu sein. Dies ist eine Annäherung, der Versuch herauszufinden, welche Gestalt eine kritische Theorie, die sich für indigenes Wissen öffnet, in diesem entscheidenden Augenblick annehmen könnte.

Die kritische Theorie ist eine selbstreflexive Methode. Theoretisch sollte sie in der Lage sein, ihre eigenen Mängel anzuerkennen und anzusprechen. Und für einige dieser Mängel hat sie dies auch getan: ihr Verstricktsein in den kulturellen und intellektuellen Markt und, in geringerem Maß, ihre Komplizenschaft mit Strukturen der Rassen-, Gender- und Klassenprivilegierung. Doch es wird nicht einfach sein, die Probleme anzugehen, die ich heute in meiner eigenen Praxis wahrnehme. Meiner Ansicht nach sind diese Probleme vierfacher Natur: erstens das Tabu, Gefühle auszudrücken; zweitens ein heimlicher, beharrlicher Progressivismus; drittens ein nachdrücklicher Argwohn gegen jede Verbundenheit mit dem Ort; und viertens der anthropozentristische Rest eines noch immer unzureichend selbstkritischen Humanismus. Zusammengenommen erschweren es diese Vorbehalte, dass die kritische Theorie sich mit Offenheit auf indigenes Wissen einlassen kann.


Tabu des Gefühls

Heilerin Susie Jim Billie sammelt Farnblätter zur medizinischen Verwendung, Big Cypress Seminole Indian Reservation, Florida, 1985

Auch wenn sie von der Aufklärung und deren Vernunftdenken abstammte, war die kritische Theorie radikal genug, die Unwahrheit sowohl in der westlichen Wissenschaft wie in der aufklärerischen humanistischen Tradition aufzuweisen. Dennoch bleibt sie eine Form des Rationalismus mit all seinen Vorbehalten und Reflexen gegen das Gefühl und die Emotion. Dafür gibt es historische Gründe. Mit Blick zurück auf die blutigen Religionskriege in Europa attackierte Voltaire bekanntlich den religiösen Enthusiasmus. In der jüngeren Geschichte waren die Frankfurter Vertreter der kritischen Theorie zutiefst traumatisiert vom Aufstieg des Nationalsozialismus, den sie als zynische und genozidale Kanalisierung von Massenemotionen sahen, insbesondere von Angst und Ressentiment angesichts der aktuellen Bedingungen individueller Machtlosigkeit. Daher verhängten sie ein striktes kritisches Tabu gegen Rituale und Ausdrücke öffentlicher Gefühle. Die nachfolgenden Generationen kritischer Theoretiker haben dieses Tabu zumeist als einen Reflex internalisiert. Ich jedenfalls habe dies über viele Jahre getan.

Zugegebenermaßen haben auch einige kritische Theoretiker anerkannt, dass die Unterdrückung des Gefühls, insbesondere durch die Vernunft, eine Form der „Beherrschung der inneren Natur“ sei. Horkheimer und Adorno unterscheiden in ihrer klassischen Dialektik der Aufklärung drei Formen der Beherrschung, die in der Moderne miteinander verknüpft seien: die Beherrschung der inneren Natur als Verdrängung; die Beherrschung der „äußeren Natur“, die zum Ökozid führt; und die Beherrschung des Menschen durch den Menschen, die, wie Adorno später argumentieren wird, zunehmend zum Genozid tendiert.15 Zusammengenommen scheinen diese Grundsätze der kritischen Theorie alles Notwendige zu bieten, um sowohl über die Verquickung von Ökozid und Genozid zu reflektieren wie über die eigenen Schwierigkeiten mit dem indigenen Wissen. Das ist bislang noch nicht oder nur kaum geschehen. Doch es bleibt möglich.

Walter Benjamin verurteilte 1925/26 die Beherrschung der Natur durch die herrschenden Klassen und erweiterte das revolutionäre Programm um die Befreiung der Natur.16 In seinem bemerkenswerten allegorischen Fragment „Zum Planetarium“ kommt Benjamin neben seiner Trauerspiel-Studie der in Textform geäußerten Trauer über das Blutvergießen und die Verluste des Ersten Weltkriegs am nächsten. Der Aufstieg des Faschismus und der nachfolgende globale Krieg sollten die Herausforderungen radikal steigern, wie sein berühmter letzter Text „Über den Begriff der Geschichte“ von 1940 belegt. Heute, mit dem „Ernstfall“ der finalen Phase der Moderne, beginnen selbst diese Text kurios zu wirken. Ich erwähne sie, ebenso wie die Dialektik der Aufklärung, lediglich, um zu zeigen, dass das Problem nicht darin besteht, dass die kritische Theorie die Verbindung zwischen Ökozid und Genozid nicht erfassen oder über sie sprechen könnte. Denn dazu war sie durchaus in der Lage. Das Problem ist vielmehr, dass die Leistungen der analytischen Stringenz nicht durch ein qualifiziertes Festhalten am Schmerz des Verlusts begleitet wurden. So wie der Geist zur Einsicht geleitet wird, muss auch der Schmerz die Trauer durchlaufen, um zu Mut zu gelangen. Wenn die kritische Theorie ein notwendiger Moment bei der Durchdringung der von der Moderne verursachten Zerstörungen ist, dann gibt es nach diesem Moment noch weitere notwendige Momente. Oder besser: in diesem Moment. Wenn wir heute wach wären, sollten unsere Tränen dann nicht ebenso schnell fließen wie das abschmelzende Eis?

Als Kontrast zur Distanziertheit der kritischen Theorie lese man den folgenden Absatz der den Chickasaw angehörigen Dichterin und Schriftstellerin Linda Hogan:

Am Rande des kupferfarbenen Wassers schreitet ein weißer Reiher durch die Untiefen, mit wachsamen Auge auf der Suche nach Fischen. Auf der anderen Uferseite steht ein vereinzelter Kanadareiher. Kanadareiher sind sensible Vögel, und es kann durchaus vorkommen, dass sie wegen allzu großer Strapazen sterben. Ich muss an sie denken, wenn ich höre, dass Mitglieder der Hmong, gezwungen ihr Land zu verlassen und entwurzelt in Amerika, ohne ersichtlichen Grund im Schlaf sterben. Ich verstehe den Verlust, der zu Verzweiflung und Tod führt. Uns ist dasselbe widerfahren, und dasselbe widerfährt dem Land, das Herz der Schöpfung wird gebrochen.17

In einem einzigen Absatz, der den Leser virtuos auf die Verknüpfung von Ökozid und Genozid hinleitet, ohne in maßlose Sentimentalität zu verfallen, zeigt Hogan uns die Armut der heutigen kritischen Theorie auf. Gehemmt und süchtig, wie wir sind, müssen wir Modernen mit den Schäden konfrontiert werden, die die Moderne in der Welt anrichtet. Eine bloß rationale Herangehensweise an diese Schäden muss scheitern – sie scheitert daran, uns durch die Trostlosigkeit zu entkrampfen und uns zu öffnen, uns zu bewegen und uns entschlossen werden zu lassen. Im unmittelbar darauffolgenden Absatz greift Hogan, ohne je der kritischen Theorie zu bedürfen, den Komplex auf. Sie schreibt über die Dichterin Gertrud Kolmar, das Pseudonym von Gertrud Käthe Chodziesner, die in Auschwitz ermordet wurde, und kommentiert: „Doch der Holocaust begann vor ihrer Zeit. Er begann auf diesem Kontinent, mit dem Genozid an den Stammesvölkern und dem anhaltenden Krieg gegen die natürliche Welt. Diese Lehre lässt sich ziehen: Was den Menschen widerfährt und was dem Land widerfährt, ist dasselbe.“18

Der Fehler der kritischen Theorie bestand darin, aufgrund einer einzigen historischen Erfahrung das Gefühl – als solches, im Allgemeinen – zu verurteilen. Aber das Gefühl, das die Masse beim Parteitag in Nürnberg grölen ließ, oder heute in jedem Fußballstadion, ist nicht das einzige Maß öffentlicher oder privater Emotion. Das Trauma des Genozids und des Ökozids betrifft uns alle. Wir sind ihm auf asymmetrische Weise ausgesetzt, wir erfahren es von unseren vielfältigen Positionen und Geschichten aus auf unterschiedliche Weise – das ist sicherlich richtig. Doch dennoch gilt, auf lange Sicht gesehen: Der Verlust eines Einzelnen ist ein Verlust für alle. Dies lässt sich als der Schluss eines rationalen Beweises betrachten. Aber mir scheint, dass es erst dann tatsächlich verstanden wird, wenn es als echter Schmerz anerkannt wird. Die Vermitteltheit, die kodierte Reserviertheit, die negative Präsentation des Traumas, wie sie von der klassischen kritischen Theorie bevorzugt wurden, waren vielleicht ein notwendiger Moment in der Verarbeitung des Genozids.19 Heute, während des sechsten Massenaussterbens, ist mehr erforderlich. Ich glaube, dass der Schmerz über dieses Trauma unbedingt fließen und zirkulieren muss.20 Wenn die kritische Theorie sich nicht dazu durchringen kann, am Teilen dieses Schmerzes teilzuhaben, dann sollte sie wenigstens exakt unterscheiden zwischen Kontexten des Sich-Öffnens und Bewusstwerdens über die Aktualität des Komplexes einerseits, und andererseits den manipulativen öffentlichen Ritualen, die darauf abzielen, Unterstützung für weitere Genozide und Ökozide zu mobilisieren. Sie sollte ihre Verurteilungen für Letzteres aufsparen sowie für die Fälle, in denen Ersteres von oben gekapert wird. Indem sie dem Komplex auf den Grund geht, die Grenzen zwischen transformativer Emotion und der Ausbeutung des Gefühls sondiert, könnte eine kritische und dekolonisierende Kunst Zugangspunkte für ein mehr als rationales Verständnis bieten.


Heimlicher Progressivismus

Auch wenn ich die modernistischen Mythen des automatischen Fortschritts immer kritisiert habe, sehe ich heute dank Sandy Grandes Schriften, dass ich als kritischer Theoretiker ein heimlicher Progressiver geblieben bin.21 Ich kritisierte die Dogmen des endlosen Wachstums und der wirtschaftlichen Entwicklung, hielt aber blind an dem Glauben an stetige intellektuelle und kulturelle Veränderung durch qualitative Sprünge fest. Warum sonst, frage ich mich, hätte ich die dauerhafte Bevorzugung des Neuen und den damit verbundenen Vorbehalt gegen traditionelles Wissen akzeptiert? Warum habe ich als Theoretiker so lange die übliche Forderung nach neuen Beiträgen zum Wissen akzeptiert? Warum würde ich die Argumente anderer kritischer Theoretiker der fundamentalen und lebendigen Kritik an der Moderne vorziehen, wie sie vor langer Zeit im indigenen Wissen vorgelegt wurde? Die Frage ist nicht, wie alt oder neu eine Idee ist, sondern wie relevant, hilfreich und wirksam sie im aktuellen Kontext ist. Heute weiß ich, dass der Bruch der kritischen Theorie mit der Moderne nicht energisch oder eindeutig genug war. Die im indigenen Denken zu findende Kritik an der Moderne scheint mir entschiedener zu sein; im Allgemeinen hat sie mehr Herz, beruht eher auf Gegenseitigkeit und zeigt mehr Respekt für das Leben. Die mannigfaltigen Visionen vom „guten Leben“ und Bewohnen, die sie bietet und die auf einer Gemeinschaft, welche mehr als nur die Menschen umfasst, und auf Beziehungen der wechselseitigen Entfaltung basieren, sind kraftvolle Alternativen zu der herrschenden Vision der Moderne vom einsamen Glück durch ruhelosen und süchtigen Konsum.

In meiner theoretischen Praxis akzeptierte ich den kritischen Reflex gegen alles, was entfernt verdächtig schien, rückständig oder rückschrittlich zu sein. Heute verstehe ich, dass dieser Reflex, diese internalisierte Angst dieselbe Ideologie des Fortschritts erfordert und negativ verstärkt, die ich zu verwerfen bestrebt war. Darin kommt auch der akademische und kuratorische Markt zum Tragen, den es stets nach dem nächsten neuesten Schrei verlangt. Die Absage an die Moderne erfordert eine radikale Veränderung der herrschenden Machtstrukturen. Dies wäre eine „qualitative Veränderung“, die sich nicht vermeiden lässt und die für mich nicht verhandelbar ist. Doch die kulturellen Ideen und Quellen, die diese Veränderung inspirieren und unterstützen, können durchaus viel älter sein als die Moderne selbst, sogar archaisch, solange sie nur wahr sind. „Wahr“ meint hier: ein Beitrag, um Wege aus der Beherrschung und dem andauernden Ökozid und Genozid zu finden. Dabei geht es alles andere als darum, sich „zurück in die Steinzeit“ zu bewegen. Es geht vielmehr darum, soziale Formen und Logiken aufzugeben, die nicht nachhaltig sind und die auf Terror und unangemessenen Technologien basieren, und soziale Formen und Logiken zu finden, die nachhaltig und widerstandskräftig sind und durch adäquate Technologien getragen werden. Die Wertesysteme des indigenen Wissens zeigen uns, wie solche Formen und Logiken fundiert und verwurzelt waren, und sie zeigen uns, dass wir im Hinblick auf Beziehungen, Ausgeglichenheit und Glück substanziell mehr gewinnen können, als wir verlieren werden, wenn wir uns den Belastungen der Moderne verweigern. Hier könnte die zeitgenössische Kunst vielleicht eine wichtige Funktion übernehmen: in der kulturellen Neuformulierung von Altem und Neuem im Augenblick der Gefahr, was Benjamin bekanntlich das „dialektische Bild“ nannte.


Argwohn gegen den Ort

Ein Berg von Bisonschädeln, die als Düngemittel verwendet werden, Rougeville, Michigan, ca. 1890

„Der Imperialismus bestimmt die indigene Erfahrung“, schreibt die Theoretikerin Linda Tuhiwai Smith, eine Māori (Ngāti Awa und Ngāti Porou). „Er ist Teil unserer Geschichte, unserer Version der Moderne.“22 Jedes indigene Volk hat seine eigenen Orte und seine eigene Geschichte, seine Kultur, seine Traditionen und sein Wissen. Es wäre zu verallgemeinernd, vom indigenen Wissen zu sprechen, als handelte es sich um ein einzelnes, kodifiziertes Gebilde. Wie Smith herausstellt, ist sogar „der Begriff ‚indigen‘ problematisch, da er viele verschiedene Völkerschaften zusammenzufassen scheint, deren Erfahrungen unter dem Imperialismus sich enorm unterschieden haben.“23 Und doch sprechen indigene Theoretiker vom indigenen Wissen, so wie ich von kritischer Theorie spreche, die auf verschiedenste Weise ausgeübt werden kann. Existiert also eine gemeinsame Disposition oder Orientierung, die als solche von den meisten indigenen Völkern geteilt und anerkannt wird, über alle lokalen kulturellen Differenzen hinweg? Nicht notwendigerweise von jeder indigenen Kultur überall oder von jedem einzelnen Indigenen; es wird nicht behauptet, dass es eine ethnische, biologische oder kategoriale Begabung gäbe, sondern vielmehr erlernte und überlieferte kulturelle Traditionen, die überleben, die lebendig gehalten wurden, obwohl sie so lange Zeit angegriffen wurden. Für mich als Leser scheint so etwas wie eine gemeinsame Disposition aus verschiedenen Überlebensstrategien zu entstehen, aus tiefgehendem kontextuellen und relationalen Wissen über verschiedene Landschaften und Ökosysteme. Das indigene Wissen, das älter als der Kontakt mit dem Kolonialismus ist, hat die Erfahrungen der Kolonisierung überstanden, ist durch diese fortgesetzten Traumata gegangen. Es scheint ein geteiltes Verständnis zu sein oder ähnliche Formen des Verständnisses der Bedeutung und der zentralen Rolle von Land und Ort. Dieser emphatische Respekt für das Leben und die Kraft des Ortes beeindruckt mich am meisten.

In Braiding Sweetgrass drückt die Dichterin und Botanikerin Robin Wall Kimmerer, eine Angehörige der Potawatomi, diese Beziehung zum Ort aus und stellt sie in den historischen Kontext des Siedlerkolonialismus:

Kinder, Sprache, Land: beinahe alles wurde entwendet, wurde gestohlen, als man nicht hinschaute, weil man versuchte, am Leben zu bleiben. Was unser Volk angesichts dieses Verlusts aber nicht aufgeben konnte, war die Bedeutung des Landes. Für den Siedler stellte das Land Besitz, Grundeigentum, Kapital oder Rohstoffquelle dar. Für unser Volk hingegen war das Land alles: die Identität, die Verbindung zu unseren Vorfahren, die Heimat unserer nichtmenschlichen Verwandtschaft, unsere Apotheke, unsere Bibliothek, die Quelle all dessen, was uns am Leben erhielt. Auf unserem Land kam unsere Verantwortung für die Welt zum Tragen, es war heiliger Boden. Es gehörte sich selbst; es war ein Geschenk, keine Ware, also konnte es je weder erworben noch entäußert werden. Diese Bedeutungen nahmen die Menschen mit sich, als sie aus ihren alten Heimatländern an neue Orte vertrieben wurden. Ob es ihr Heimatland oder das ihnen aufgezwungene neue Land war, das gemeinsam bewohnte Land verlieh den Menschen Stärke; es gab ihnen etwas, für das sich zu kämpfen lohnte. Und aus diesem Grund stellte dieser Glaube – für die Bundesregierung – eine Bedrohung dar.24

In ähnlichem Sinn benannte die den Kombumerri angehörige Theoretikerin Mary Graham in einem Text über die philosophischen Grundlagen der Weltauffassung der Aborigines auf der anderen Seite des Pazifik zwei grundlegende Gebote: „Das Land ist das Gesetz“ und „Du bist nicht alleine auf der Welt“.25 Sandy Grande und Linda Tuhiwai Smith warnen beide davor, diese Beziehung zum Ort zu mystifizieren; wenn sie einen Genius Loci der Nachhaltigkeit und Widerstandskraft überträgt, dann ist dieser das Destillat einer langen Geschichte und teuer erkaufter Erfahrungen.26 Doch genau darin liegt der Unterschied, der eklatante Kontrast zur Moderne: Das Land, verstanden in diesem umfassenderen Sinn als heiliger Ort und erweiterte Gemeinschaft, ist im indigenen Wissen die oberste Quelle für Werte, Ethik, Gerechtigkeit und Spiritualität. In einer Ethik, die sich auf das Land zentriert und mit ihm verbunden ist, wird dasjenige unterstützt, was zur wechselseitigen Entfaltung beiträgt, während alles, was das Ökosystem schädigt oder bedroht, inakzeptabel ist. Diese ethische Grundlage scheint mir dem Wertesystem der Moderne, das die ungehemmte Zerstörung der Biosphäre billigt, ganz offensichtlich überlegen zu sein. Vom Blickwinkel des indigenen Wissens und der indigenen Ethik erscheint die kapitalistische Akkumulation als nicht weniger denn eine Grausamkeit. Dies scheint mir richtig zu sein, in einem tiefgreifenden Sinn richtig.

Welche Schwierigkeiten hat die kritische Theorie also mit dem Ort? Erneut muss man dies im Kontext der Reflexion über den Nationalsozialismus und Auschwitz betrachten. Bekanntlich huldigten die Nazis einer rassischen Fantasie von „Blut und Boden“. In der Nazi-Ideologie waren die Deutschen demnach eine Herrenrasse, die mit einem besonderen mystischen Band zum deutschen Land ausgestattet war. Um das Vaterland rein zu halten, mussten alle Juden, Sinti und Roma und andere unerwünschte Gemeinschaften verschwinden, letzten Endes in den Gaskammern und Verbrennungsöfen. Und viele Deutsche machten sich diese selbstbeweihräuchernde Fantasie offensichtlich zu eigen. In der Folge entwickelte die kritische Theorie, wann immer sie auf die Behauptung eines speziellen Bandes oder einer Beziehung zwischen einem Volk oder einer Kultur und dem entsprechenden Ort traf, den Reflex, dies als eine Art Protofaschismus anzugreifen, der die Saat des Genozids in sich berge. Doch nicht jedes Band mit dem Land muss auf diese rassisch bestimmte Weise verstanden oder eingelöst werden. Auf jeden Fall haben die indigenen Völker Nordamerikas es zweifellos nicht auf diese Weise verstanden oder eingelöst. Die bloße Behauptung, dass jegliche Form eines Bandes mit dem Land möglicherweise rassisch bestimmt werden und daher genozidal sein könne, erlaubt nicht die pauschale Zurückweisung aller Traditionen und Praktiken einer mit dem Land verbundenen Kultur, ohne den Kontext oder die Tatsachen zu untersuchen.

Das Leben des Landes gegen staatlichen Ökozid und Genozid zu verteidigen, ist eindeutig etwas ganz anderes als der Gebrauch der Macht durch den modernen Staat, um ein rassisch bestimmtes Band mit dem Land zu behaupten, dessen Zweck genau darin besteht, einen Genozid zu begehen. Die Ironie und die Ungerechtigkeit, die in dieser Projektion durch die kritische Theorie liegt, ist verstörend. Kritische Theoretiker müssten lediglich ihre eigenen streng rationalen kritischen Werkzeuge anlegen, um in der Lage zu sein, dieses Problem zu erkennen und zu korrigieren. Und doch ist mir dieser Reflex in zahlreichen Diskussionen in akademischen Zusammenhängen begegnet, auch in Bezug auf zeitgenössische nichtindigene Befürworter einer Ethik des Landes wie etwa Aldo Leopold, Wendell Berry und Gary Snyder. Ich bin überzeugt, dass die Ethik des Landes in irgendeiner Form Teil jedes gangbaren Widerstands gegen den modernistischen Komplex von Ökozid und Genozid sein muss. Man muss einen Ort ganz einfach erst kennen und lieben, bevor man sich dafür engagieren wird, für ihn zu sorgen und ihn zu verteidigen. Es besteht überhaupt keine Notwendigkeit, dies rassisch zu bestimmen oder es aus Sorge vor angeblich genozidalen Potenzialen abzulehnen. Genozid und Ökozid sind längst im Gange. Und es ist unbestreitbar, dass sie von den Modernen – und nicht von indigenen Völkern – begangen werden.


Anthropozentrismus

Modernisten und offenbar auch die meisten Modernen billigen nur dem menschlichen Leben einen Wert an sich zu. Ethische und politische Geltung folgen aus diesem Wert. Tiere und die natürliche Umwelt sind bloße Mittel für menschliche Zwecke, sie bilden den Hintergrund für die menschliche Aktivität. Der Anthropozentrismus ist für die Moderne ebenso zentral wie das Motiv des Profits. Vielleicht ist er sogar noch zentraler, diese Fantasie über die Sonderstellung des Menschen, seine Überlegenheit und Kontrolle. In den neuen Diskursen über „grünen Kapitalismus“ und die „Öko-Moderne“ setzt sich dies fort. Die Natur hat nur für Menschen einen Wert. Die biologische Diversität von Ökosystemen ist nicht deswegen wertvoll, weil jede Form des Lebens ein Zweck in sich ist, eingebettet in Gemeinschaften der gegenseitigen Unterstützung, sondern wird nur als Quelle von „Diensten des Ökosystems“ für uns als wertvoll erachtet.

Sicherlich sind diese selbstbeweihräuchernden und selbstsüchtigen Fantasien der Überlegenheit eine Hybris. Schlimmer noch, sie sind auf aktive Weise zerstörerisch: Indem sie den permanenten Krieg der Moderne gegen die Biosphäre unterstützen und sanktionieren, sind sie für menschliches und nichtmenschliches Leben gleichermaßen mörderisch. Der echte Bewusstseinssprung, der heute erforderlich ist, der Sprung des Gefühls ebenso wie des Denkens und Handelns, muss eine Einstellung zur Natur erreichen, die auf wechselseitige Unterstützung ausgerichtet ist. Dazu bedarf es einer radikalen Ausweitung der ethischen und politischen Gemeinschaft, um die gesamte Biogemeinschaft von Lebensformen zu umfassen, mit denen wir uns seit dem KT-Ereignis in Koevolution befinden.27 Wie Robin Wall Kimmerer es ausdrückt: „Alle Entfaltung ist wechselseitig.“28 Eine Ethik und Politik der Reziprozität würde den Eigenwert des Lebens in all seiner Diversität anerkennen. Sie würde die menschlichen Verpflichtungen gegenüber dem anerkennen, was der Umweltphänomenologe David Abram die „mehr-als-menschliche Matrix“ nennt.29 Abrams schöner Ausdruck impliziert eine notwendige radikale Bescheidenheit: Die Menschen sind nur ein Bestandteil im Gewebe des Lebens. Es ist das ganze Netz, das heute verteidigt werden muss.

Indigene Kulturen haben diese Sprung bereits getan – vor Tausenden von Jahren. In jüngerer Zeit haben Kritiker der Moderne nichtindigene Wege zur Indigeneität erarbeitet, von Aldo Leopolds „Ethik des Landes“ über den „Bioregionalismus“ Gary Snyders bis zur „tiefen Ökologie“ von Arne Næss.30 Die Umwelt- und Tiertheoretikerinnen Val Plumwood, Donna Haraway und Anna Tsing haben jeweils Vorstellungen von „Multispezies-Gemeinschaften“ ausgearbeitet.31 Es sollte sogar möglich sein, Adornos und Horkheimers Anerkennung der „Tendenzen zur realen Humanität“ in diese Richtung umzulenken; ein hinreichend selbstkritischer Humanismus würde ethische und politische Geltung sicherlich auch auf das Nichtmenschliche ausweiten.32 Ohne mich hier mit irgendeiner spezifischen Version im Detail auseinandersetzen zu müssen, behaupte ich, dass wir heute die Bestätigung dieser Bewegung des Denkens und Fühlens erleben. Die Bedürfnisse der Biosphäre, und nicht die fabrizierten sozialen Kreisläufe des menschlichen Begehrens, müssen an erster Stelle stehen. Letztlich wird man sich dieser Tatsache jedenfalls nicht verschließen können. Wenn Ökosysteme missbraucht werden, bis sie zusammenbrechen, dann schwindet alles Leben in der planetaren Gemeinschaft – in evolutionärer Hinsicht, in ethischer und politischer und auch in emotionaler und ästhetischer Hinsicht. Diesen Ökozid zuzugeben und anzuerkennen, verlangt eine allumfassende Einschränkung, die bereits selbst ein Bruch mit der Moderne wäre.

Die mehr-als-menschliche Ethik der Reziprozität ist natürlich weitaus älter als die Moderne und deren Wissenschaftsdisziplin der Ökologie. In den Verwandtschaftstraditionen und -lehren des indigenen Wissens war sie schon immer vorhanden. Und indigene Stimmen erinnern uns Moderne seit geraumer Zeit daran. Man denke zum Beispiel an die Kari-Oca-Erklärung aus dem Jahr 1992, als in Rio de Janeiro der Erdgipfel stattfand. Seitdem wurden viele weitere bedeutende Erklärungen veröffentlicht, darunter die Erklärung von Cochabamba, die eine Antwort auf das Scheitern des Klimagipfels COP 15 2009 in Kopenhagen war, sowie Kari-Oca II gleichzeitig mit Rio+20 im Jahr 2012.33 Indigene Anführer, Lehrer und Aktivisten richten sich heute direkt an die Welt, weil ihnen die Dringlichkeit bewusst ist. Nachdem sie 500 Jahre lang die genozidale und ökozidale Gewalt der Moderne erlitten haben, wissen indigene Völker heute so einiges darüber. Und die landzentrierte und landverbundene Ethik der Reziprozität, die sie ausdrücken, bietet Wege für eine Veränderung in dieser Zeit des Zusammenbruchs, der finalen Phase.

Der Anthropozentrismus der westlichen modernen Tradition wurde von Umwelt- und Tiertheoretiker_innen scharf kritisiert. Einige kritische Theoretiker_innen haben sich für den Sprung zu einem erweiterten Sinn der Gemeinschaft und des Engagements eingesetzt. Doch das sind Ausnahmen. Soweit ich es übersehen kann, war die kritische Theorie diesen Vorschlägen gegenüber im Allgemeinen feindlich eingestellt. Man könnte an verschiedene Argumente denken: Furcht vor der Unzuverlässigkeit von Empathie und empathischer Projektion, Furcht vor der Auslöschung der Individualität in der verallgemeinerten Identifikation mit der Natur, Befürchtungen, dass die Menschen dadurch abgewertet würden, Furcht vor Misanthropie, Befürchtungen, dass derartige Bewegungen es billigen könnten, wenn die Verteidigung der Biosphäre vor einem Ökozid auf genozidale Weise durchgesetzt wird, Befürchtungen, dass die Unterscheidungen zwischen gegnerischen Klassen und Interessengruppen innerhalb der menschlichen Gemeinschaft ausgelöscht werden könnten.

Doch ich bin noch immer nicht überzeugt. Statt einer sorgfältigen Reflexion über die Wirklichkeit sind diese Befürchtungen Ausdruck der üblichen Reflexe und Vorbehalte der kritischen Theorie. Die Reduktion eines aufkommenden alt-neuen ethisch-politischen Paradigmas auf potenzielle oder projizierte Gefahren scheint mir gerade in einer Zeit, in der die herrschenden Klassen der Moderne anhaltenden Ökozid und Genozid begehen, intellektuell zweifelhaft und symptomatisch für die ureigenen Ängste der kritischen Theorie zu sein. Ich räume ein, dass die zunehmende Zerstörung der Biosphäre einige Tendenzen zum Faschismus und zu ähnlichen kapitalistischen Notstandsstaaten und parastaatlichen Strukturen befördern wird. (Heute wird sekündlich ein Mensch durch den Klimawandel vertrieben, so erfahren wir; niemand kann die entsprechende Zahl nichtmenschlicher Klimaflüchtlinge abschätzen.34 Die Migrationspolitik wird sicherlich die Gegenwart ebenso wie die Zukunft heimsuchen.) Doch für kritische Theoretiker_innen bestünde die Aufgabe meiner Ansicht nach darin, die Unterschiede zwischen solchen Rückfällen in Gewalt und der tatsächlich entstehenden Bewegung zur Verhinderung von Ökozid und Genozid herauszustellen. Sicherlich sollte sie nicht darin bestehen, die Unterschiede zwischen diesen beiden radikal verschiedenen ethischen und politischen Projekten einzuebnen, um sie über denselben Kamm der Ablehnung zu scheren.


Neuverbindung mit dem Ort

Der Golf und die Küste von “Neu-Spanien” vom Cape Fear River in North Carolina bis zum Pánuco River in Mexico auf einer Karte von Alonso de Santa Cruz, ca. 1572

Dies soll keine bloß abstrakte Diskussion über den Komplex von Ökozid und Genozid bleiben. Sie muss geerdet werden. Und sie wird persönlich werden müssen, verbunden mit der Erfahrung, mit gesellschaftlichen Tatsachen, mit Emotion und mit Zeugenschaft. Lassen Sie mich also erneut versuchen, mich vorzustellen. Wie alle Menschen, und auch wie alle Tiere, habe ich Protokolle der Begrüßung und der Vorstellung erlernt. Wenn ich sehe, dass andere es anders machen, hilft mir dies, mir über meine eigenen Gebräuche und Konventionen klarzuwerden. Da ich mit meinem Verhältnis zu dem Ort kämpfe, von dem ich stamme, habe ich über den Ort nachgedacht, über Indigeneität und über indigenes Wissen. Die kritische Theorie konnte mir nicht dabei helfen, meine eigenen tiefsten Gefühle über den Ort, von dem ich stamme, zu verstehen, meine Begegnungen mit dem indigenen Wissen hingegen haben mir schrittweise gezeigt, was meine Gefühle bedeuten. Wie kann das sein?

Wenn ich indigene Theoretiker lese oder ihnen zuhöre, bin ich nicht nur von ihren kraftvollen und großzügigen Botschaften beeindruckt, sondern auch von der Art und Weise, wie sie sich vorstellen. Viele von ihnen nennen ihren Namen und ihre Stammes- und Clanzugehörigkeit. Beinahe alle, so habe ich festgestellt, geben an, woher sie stammen. Das gab mir zu denken. Auch wenn ich kein Indigener bin und keinerlei Stammes- oder Clanzugehörigkeit habe, würde ich in einem ähnlichen Zusammenhang nicht sagen, woher ich stamme. Ich würde dazu keine Notwendigkeit oder Verpflichtung sehen. Warum ist das so? In den Protokollen, die ich erlernt habe, scheint vorausgesetzt zu werden, dass der Frage, woher man stammt, keine große Bedeutung zukommt. (Natürlich gibt es Grenzsysteme und -regeln, bei denen der Geburtsort von allergrößter Wichtigkeit ist. Ich denke hier aber an einfachere Situationen: Wenn Fremde sich begegnen oder durch einen gemeinsamen Freund vorgestellt werden, oder wenn man sich mit einer Rede an Menschen wendet, die man nicht kennt.) Anderes wird für wichtiger erachtet, damit andere Menschen einen verorten, sich zu einem verhalten und offen für das sein können, was man sagt. Im Allgemeinen wird erwartet, dass man sagt, was man macht, wie man seinen Lebensunterhalt verdient. Vielleicht auch, in manchen Zusammenhängen, wo man arbeitet und lebt, heute. Doch nicht, woher man stammt. Das ist bezeichnend.

Ist die Abwertung des Ortes (im Gegensatz zur Nationalität) in der Moderne Teil des Problems, Teil der Abtrennung und der Gleichgültigkeit, die es erlauben, dass Orte, Landschaften und Ökosysteme vor unseren Augen missbraucht und zerstört werden? Wenn dem so sein sollte, wäre dann die Neuverbindung zum Ort ein für die Verteidigung der Biosphäre notwendiger politischer Schritt? Können wir Nichtindigenen von dem indigenen Wissen respektvollere und reziproke Weisen lernen, uns zu unseren Orten zu verhalten und sie zu bewohnen? Ließen sich hier, ohne die Unterschiede des Kontexts, der Geschichte und der Position aus dem Augen zu verlieren, Modelle finden, um unsere eigenen Praktiken neu zu orientieren und auszurichten?

Ich würde gerne sagen können, dass ich von einem Ort stamme, dass ich dort verwurzelt bin, dass ich verwurzelt bleibe. Doch die Moderne mit ihrer Erziehung zur Ruhelosigkeit, ihrem permanenten Hunger und den Schatten des Schreckens hat mich entwurzelt. In der Moderne sind Orte Territorien, die erobert, beherrscht und geplündert werden wollen. An Orten beuten die Modernen Bodenschätze aus, gehen ihren Süchten nach, suchen das sogenannte Glück. Indigeneität, jene leidenschaftliche Verbindung mit dem lebendigen Land, der lebendigen Luft und dem Wasser des Ortes, stellt für die modernen Unternehmungen ein Hindernis dar. Indigene Völker, die immer bereit waren, das Leben ihrer Orte zu verteidigen, stehen dem im Weg. Um modern zu sein, darf niemand indigen sein. In der Moderne werden die indigenen Völker vertrieben, enteignet, geraten ins Visier von Beseitigung und Auslöschung. Modernisten nennen dies Fortschritt.

Ich würde gerne sagen können, dass ich wenigstens früher einmal verwurzelt war. Jeder wächst irgendwo auf. Der Ort, an dem ich aufwuchs, ist nicht der Ort, an dem ich geboren wurde. Nicht der Ort, wo meine Mutter und meine Vorfahren begraben sind. Nicht der Ort, wo ich heute lebe. Und dennoch denke ich, dass ich diesen Ort kenne, wie ich keinen anderen jemals kennen werde. Mein Körper erinnert diesen Ort, die Himmel, die Lichter, die Stürme, die Gerüche. Mein Körper erinnert die Vogelgesänge und die Rufe, die Bäume und Pflanzen, die Schlangen und die Fische, das Grollen der Gischt, die sich auf dem Korallensand bricht.

Spottdrossel, Trauertaube, Helmspecht. Feuerameise, Feldwespe, Grüner Anolis. Palmfarn, Schwärmer, blaues Eisenkraut. Elliot-Kiefer, Sägepalme, Diamant-Klapperschlange. Rosafarbenes Haargras, violettes Liebesgras, glänzende Heidelbeere. Passionsblume, Büffelgras, Schwarzäugige Susanne. Buschhäher, Korallenschlange, Gopherschildkröte. Platane, Kokospflaume, Rote und Schwarze Mangrove. Kanadareiher, Fischadler, Rosalöffler. Kormoran, Schlangenhalsvogel, Schneesichler. Alligator, Meeräsche, Schaufelkopfbarsch. Kokospalme, Königspalme, Weißgummibaum. Truthahngeier, Weißkopfadler, Schwalbenweih. Saure Limette, Würgefeige, Palmettopalme. Seetraube, Strandgras, Meeresbohne. Zwergseeschwalbe, Flussseeschwalbe, Scherenschnabel. Blitzschnecke, Olivenschnecke, Eischnecke. Seekuh, Teufelsrochen, Großer Tümmler. Steinkrabbe, Tarpun, Braunpelikan. Segelfisch, Fliegende Fische, Hammerhai. Goldmakrele, Wahoo, Großer Barrakuda. Gewitterwolke, tropischer Sturm, Hurrikan.

Für keinen anderen Ort auf der Welt könnte ich eine solche Litanei beschwören. All diese Namen sind für mich auch Ortsnamen. Jeder von ihnen ruft exakte Erinnerungen zurück, echte Erfahrungen in spezifischen Landschaften, in vertrauten Gärten oder Parzellen, Kiefersavannen oder Sägegras-Feuchtgebieten, auf Strandabschnitten, die meinen Füßen bestens vertraut waren, oder an den Ausläufern des Golfstroms, auf Wogen, die von meinem Innenohr gefühlt und erinnert werden. Jeder Name ebenso wie das Leben, das er benennt, versetzt mich in eine Region der Erinnerung, in der Körper und Ort realer und lebendiger sind als mein Gefühl der vergehenden Zeit. Diese Erinnerungen, diese Eindrücke sind ebenso wie die Geschichten, die sie umkreisen, für mich, so empfinde ich, unglaublich wichtig. Sie sind für mich noch immer eine Verbindung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie aufhören werden, eine Verbindung zu sein. Von Erinnerungen wird gesagt, sie seien fließend und würden sich entziehen, seien schwer zu fassen und veränderlich. Und doch fühlen sich diese Erinnerungen dauerhaft an, außerhalb von Zeit und Veränderung und der Notwendigkeit des Todes. Es sind meine Erinnerungen. Wenn ich sterbe, werden sie als Erinnerungen gewiss ebenfalls sterben. Aber als Wiederhall des Lebens dieser Orte werden sie gewiss weiterleben. Dieses „gewiss“ ist nicht modern. Ich bin entwurzelt, aber ich trage, so empfinde ich, eine tiefe, mehr als rationale Absage an die Moderne in mir. Diese Namen, Erinnerungen, Erfahrungen sind mehr als nur meine. Sie haben ihre eigene Lebenskraft, man nenne es Energie oder Geist. Daher sind das Land, die Luft, das Wasser, so empfinde ich, lebendig, wie manche schon immer gesagt haben. Sie schäumen und vibrieren vor Leben und Energie und Emotion. Durch diesen Ort, von dem ich stamme, bewahre ich etwas, eine Spur oder einen Anklang oder eine Note von seinem Pulsschlag, von einem Leben, das mehr ist als ich und mehr als jeder Mensch.


Welches Südflorida?

Wenn ich nun hinzufüge, dass ich Amerikaner bin, werden Sie es erraten: Ich stamme aus Südflorida. Aber das ist immer noch vorschnell, damit ist noch immer nicht alles gesagt. Es gibt viele Südfloridas. Aus welchem stamme ich nun? Welchem – oder welchen – fühle ich mich zugehörig, und wie drücke ich das aus? Diese Fragen plagen mich. Sie spornen mich an, eingehender darüber nachzudenken, was ich empfinde; sie zwingen mich, mehr zu schreiben. Südflorida ist ein Land mit tiefen Narben von Genozid und Ökozid, vergangenen wie andauernden. Zunächst einmal muss ich Folgendes anerkennen: Die indigenen Völker Südfloridas wurden durch Wellen kolonialer Invasionen, Sklavenraubzüge und europäische Krankheiten ausgelöscht. Die Völker der Calusa und der Ais, der Jeaga, Jobe, Tequesta und Matecumbe waren zu der Zeit, als die Briten 1763 Florida von den Spaniern übernahmen, allesamt kulturell, wenn nicht biologisch ausgelöscht.

Als Andrew Jackson 1818 in Florida einmarschierte, war die Halbinsel bereits von neuen Völkern bewohnt, von den Seminolen und den Mikasuki, die sich von der Creek-Nation abgespalten hatten und im 18. Jahrhundert in unbewohnte Gebiete der Region Panhandle eingewandert waren. Zu diesen Gruppen gesellten sich ehemalige Sklaven afrikanischer Herkunft, die von Plantagen in den südlichen US-Bundesstaaten geflohen waren, sowie ein neuerlicher Zustrom von Creeks, die auf der Flucht vor dem amerikanischen Einmarsch in das Gebiet der Mississippi waren. Die tieferen Gründe für diese Kriege gehen auf den Sklavenhandel mit indigenen Völkern zurück, der im 17. Jahrhundert von britischen Kolonisten begonnen wurde. Zusätzlich zu den Seminolen und Mikasuki und den Völkern afrikanischer Herkunft lebten dort auch Familien von kubanischen Fischern, die Mitglieder verschiedener Stämme geheiratet hatten und sich auf kleinen Farmen an den Küsten Südfloridas und in den Keys niederließen. 1821 übernahmen die Vereinigten Staaten die Kontrolle über Florida und leiteten umgehend das rassistischste Projekt der Vertreibung und Auslöschung in die Wege, das das Land je gesehen hatte. Die Seminolen, die Mikasuki und die Völker afrikanischer Herkunft leisteten erbitterten Widerstand. Bis 1858, als die Amerikaner das Ende der sogenannten Seminolenkriege erklärten, waren die meisten der überlebenden Seminolen und Mikasuki sowie einige „Schwarze Seminolen“ in das heutige Oklahoma vertrieben worden. Doch in den Everglades und in Big Cypress verblieben einige kleine unbezwungene Gruppen. Dies sind die Florida-Seminolen und Mikasuki-Stämme, die heute in den nördlichen Randgebieten des Everglades-Nationalparks und in sechs über Südflorida verstreuten Reservaten leben.35

Ökologisch gesehen wird Südflorida von der warmen Sonne sowie dem Wasser genährt, das zwischen März und September beinahe jeden Nachmittag vom Himmel fällt. Historisch strömte dieses Wasser quer durch das Land, die südliche Halbinsel hinunter bis zum Meer, wo es sich in den Mangrovenwäldern und den durch Barriereinseln geschützten tropischen Seemarschen mit dem Salzwasser vermischte. In einem der historischen Haupteinzugsgebiete wurde das Wasser vom Lake Kissimmee nach Süden zum Lake Okeechobee geführt. Wurde der Lake Okeechobee in der Regenzeit des Sommers gefüllt und überflutet, dann floss die überlaufende Wasserfläche langsam Richtung Süden durch die Sümpfe der Everglades bis zur Florida Bay. Erhebungen von Laubbäumen auf kleinen tränenförmigen Inseln sprenkeln das Sägegras-Feuchtgebiet. Zwischen dem Shark River Slough und dem Caloosahatchee River liegt das Big Cypress Swamp, das produktivste Ökosystem auf der Halbinsel. Pinienflachwälder und -savannen bedeckten die Küstenausläufer und andere Trockengebiete.

Diese Mischung begünstigte eine vielfältige Flora und Fauna, deren Reichtum heute kaum noch vorstellbar ist. Unter US-Kontrolle hatten spekulative Projekte, industrielle Monokultur und Eingriffe in die Strömungsverhältnisse ökologisch katastrophale Folgen. Der Highway 1 entlang der Ostküste ist eine endlose Einkaufsmeile, die von Homestead bis Jupiter reicht. Der Großteil der Mangroven wurde abgeholzt und durch Betonwälle ersetzt, und toxische Abflüsse von den Straßen, Golfplätzen und den Gärten der Villen haben den Großteil der tropischen Seemarschen abgetötet. Ausbaggerungsarbeiten und Kanalprojekte haben die wunderbaren bestehenden Flüsse verschandelt und die Strömungen von den Everglades weggeleitet. Die großen Zuckerunternehmen, die das Land südlich des Lake Okeechobee kontrollieren, verbrauchen einen Großteil des verbliebenen Wassers, und was die Zuckerrohrplantagen passiert, ist mit Agrochemikalien verseucht. Seit einem halben Jahrhundert sterben die Everglades einen langsamen Tod.

Die Buchten und Küstenseen sind derweil größtenteils ausgelaugt. Wie der Florida-Panther steht auch die Seekuh kurz vor dem Verschwinden, und heute sterben die Korallenriffe, da Kohlendioxidemissionen die Ozeane sauer werden lassen. Zwei Kernkraftwerke an den Küsten Südfloridas harren auf ihren Supersturm. Das Land ist widerstandsfähig, kann aber nur ein bestimmtes Maß an Missbrauch verkraften, bevor die Beziehungsnetze, die das Leben aufrechterhalten, zerreißen. Ich habe den vorkolonialen Reichtum der Region nie gesehen, doch in meiner Jugend schienen das Land, das Wasser und der Himmel erstaunlich voll von Leben. Doch selbst ich kann die Zeichen des Verlusts und der Schädigung heute wahrnehmen, und zwar überall und bei jedem Besuch.

Aus welchem dieser Südfloridas stamme ich? Ohne Frage gehöre ich dem Zustrom von Siedlern an, die es ruiniert haben. Das ist meine Kultur, so muss ich voll Scham und Traurigkeit zugeben. Ich wuchs als Moderner auf, wurde zu einem solchen erzogen. Das kann ich nicht ändern. Was ich aber ändern kann, oder zu ändern versuchen kann, ist die Art und Weise, wie ich diesen Hintergrund heute auslebe.


Gründungsverbrechen des Siedlungskolonialismus

Die ersten Verbrechen, die Gründungsverbrechen meiner überstolzen Nation, waren die Invasion, die Besetzung und die Besiedlung diese Kontinents durch bewusste Akte des Genozids und des Ökozids. Juristen mögen über die rechtlichen Definitionen dieser Begriffe streiten, doch ich glaube, wir wissen nur allzu gut, was sie bedeuten: Genozid ist die Zerstörung und Auslöschung menschlicher Gemeinschaften; Ökozid ist die Zerstörung und Auslöschung ökologischer Gemeinschaften. Die Mittel und Verfahren variieren, doch das ist ihr Ergebnis. Es sind Verbrechen gegen das Leben, ob das nationale oder internationale Recht sie als solche anerkennt oder nicht. Menschliches Recht und menschliche Gesetze haben hier nicht das letzte Wort. Nichtsdestotrotz ist das Recht eines der Felder, auf dem der Kampf um die Verteidigung der Biosphäre ausgetragen wird. Die bemerkenswerte Festschreibung der Rechte von Mutter Erde, oder Pachamama, in Ecuador und Bolivien, sowie die globalen Kampagnen für ein Recht der Erde und den Rechtsbegriff des Ökozids sind inspirierend und wichtig.36 Doch der entscheidende Punkt ist hier, dass die Grundlagen der Vereinigten Staaten von Amerika illegitim waren und bleiben; dem unbedingten Rechtsgrundsatz zufolge, auf dem alle bestehenden Gesetze basieren, ist die US-amerikanische Besetzung von gestohlenem Land auf entschiedene Weise illegal.37 240 Jahre „vollendeter Tatsachen“ können dies nicht ändern oder eine Nation von ihrer Geschichte freisprechen: die Vernichtung indigener Gemeinschaften durch Massaker, Grausamkeit, Versklavung, Vertreibung und Enteignung mittels Diebstahl, Betrug und juristischen Intrigen; die Kriminalisierung indigener Sprache und Kultur sowie Kindesentführungen; wirtschaftlicher Zwang und Korruption, Schlägertrupps und ein ganzes teuflisches Arsenal von Terror, Verelendung und Demoralisierung. Dies wurde alles schon viele Male gesagt, es kann jedoch nicht oft genug gesagt werden.38

Schlimmer noch, diese Prozesse setzen sich in Nordamerika und auf der ganzen Welt fort. Sie können im Sinne der „ursprünglichen Akkumulation“ und der „neuen Einhegungen“ beschrieben werden. Wir könnten von Imperialismus, Kolonialismus und Neokolonialismus sprechen, von Globalisierung und Neoliberalismus. Wir würden heute von dem internationalen Finanzsystem zu sprechen haben, von „Troikas“ und Nationalbanken, von dem globalen Schuldgefängnis, das von den amerikanisch dominierten Institutionen der Weltbank, des IWF und der WHO betrieben wird. Und dann könnten wir von dem Widerstand gegen diese Institutionen und Prozesse sprechen: den Zapatistas, der Altermondialismus-Bewegung, dem Weltsozialforum, der Bewegung der Landlosen (MST), Occupy, den Indignados, La Via Campesina und Idle No More.

Sandy Grande fordert eine Verlagerung von abstrakten liberalen Begriffen der sozialen Gerechtigkeit und der Demokratie hin zur Mobilisierung eines eher interventionistischen Projekts der Dekolonisierung. Sie liefert Argumente dafür, diese Prozesse mit dem Begriff des „Siedlerkolonialismus“ zu beschreiben. Siedlerkolonialisten kommen, um zu bleiben, und die Vertreibung und Auslöschung indigener Völker sind ein notwendiger Teil dieses Projekts. Ich stimme Grandes Argumentation sowie deren Folgerungen zu: Da ich als Mitglied der herrschenden „Whitestream“-Kultur in Florida aufwuchs, bin ich ein Siedlerkolonisator, der in vielerlei Weise von der Zwangsvertreibung – und im Fall Floridas von der tatsächlichen Vernichtung – der indigenen Völker profitiert hat. Und ich bin noch tiefer verstrickt, da sich in der Zeit, in der ich lebe, die Verelendung, Enteignung und der kulturelle Genozid indigener Stämme überall in den Vereinigten Staaten fortgesetzt hat und sich weiter fortsetzt, offiziell, in meinem Namen, als US-Staatsbürger. Der neueste Stand wurde mir auf Hawaii präsentiert, auf der besetzten Insel Oahu, wo US-amerikanische Militärbasen 23 Prozent der Landmasse einnehmen.39

Während ich darüber nachdenke, woher und von wem ich abstamme, beginne ich zu verstehen, dass das Land nicht auf modernistische Weise besessen werden kann, nicht ohne Verbrechen und Grausamkeit, nicht ohne einen Krieg gegen das Leben. Es ist nicht unmöglich, den indigenen Völkern das gestohlene Land zurückzugeben, das ihnen gemeinsam gehörte, bevor unsere Vorfahren hierher kamen, um sie zu vertreiben. Für verschiedene öffentliche Projekte hat die Regierung oft für weitaus weniger ehrenwerte Zwecke Zwangsenteignungen vorgenommen, um das Land von Privateigentümern gegen Entschädigung zu übernehmen. Auch unter dem Regime des Privateigentums ist also ein Mechanismus vorhanden. Wenn dies außerhalb der Vorstellungskraft liegt, dann weil unsere nationale Vorstellungskraft verarmt und infantilisiert ist, und nicht weil es unmöglich wäre. Sicherlich könnten und sollten viel größere Teile des Landes den Ureinwohnern zurückgegeben werden. Auch Reparationen, die leichter durchzuführen sind, wären angemessen. Eine lebhafte nationale Debatte über beides sowie über die Wiederherstellung der vollen Selbstbestimmung der Ureinwohner wäre ein Anfang. Ich sage dies als US-Bürger, der immer noch das Recht und die Pflicht hat, seine Regierung zu kritisieren; es ist an den indigenen Völkern selbst, zu sagen, was sie wollen und brauchen, und was sie von nichtindigenen Unterstützern wie mir erwarten. Klar ist, dass die Moderne davon abhängt, das Land unter Verhältnisse des Privateigentums zu bringen und zu halten. Aber dies ist nicht die einzige Art und Weise, einen Ort zu bewohnen oder Nahrungsmittel wachsen zu lassen. Der private Besitz von Land ist nur so lange eine Notwendigkeit, wie die Logik der Akkumulation vorherrscht. Vom Würgegriff der Moderne befreit, käme der Reichtum an Alternativen, von denen viele traditionell sind, eindringlicher ins Blickfeld.

Aus welchem Südflorida behaupte ich also zu stammen? Aus demjenigen, an das ich mich erinnere, und aus demjenigen, an das ich mich nicht erinnere. Aus demjenigen, das die kritische Theorie verurteilen kann, und aus demjenigen, das sie nicht ergründen kann. Aus demjenigen, das meine siedlerkolonialistische, moderne Kultur wiederholt vergewaltigt hat und weiterhin missbraucht: das von Zuckerbaronen, Immobilienspekulanten, Bankern, Offshore-Pächter und all den anderen Nachkommen Andrew Jacksons beherrschte. Aus demjenigen, das von Hochhäusern, Trophäen-Gebäuden, Gated Communities und Spring Breakers entwürdigt wird. Aus demjenigen, das von der Abwesenheit der Völker der Calusa, Ais, Jeaga, Jobe, Tequesta und Matecumbe heimgesucht wird, die Ponce de León zwei Mal zurückgedrängt haben und ihm seine tödliche Wunde versetzten. Aus demjenigen, das sich weiterhin über die vergangene Ermordung und Vertreibung vieler Seminolen und Mikasuki durch meinen Staat empört. Aus demjenigen, das heute dennoch durch die Anwesenheit jener bereichert wird, die von den Seminolen, Mikasuki und Schwarzen Seminolen abstammen, die nie bezwungen wurden und das Land niemals verließen. Aus demjenigen Südflorida, das durch die Nachfahren der versklavten Afrikaner aus der ganzen Karibik bereichert wird. Aus demjenigen, über das Regen, Stürme und Hurrikane hinwegfegen, und demjenigen, das das kommende Klimachaos erwartet und sich für es bereit macht. Aus demjenigen, in dem die kulturelle und biologische Diversität des Lebens hartnäckig fortbesteht, trotz all der Schäden, Verluste und Dezimierungen. Aus den heiligen Ruinen also, wo das Land, die Luft und das Wasser wallen und flirren, voll des Lebens der Lebenden und des Lebens der Untoten.

Athen, Mai 2016

Von der Heilerin Susie Jim Billie verwendete Heilkräuter und Baumrinden zur Herstellung von Medizin, Big Cypress Seminole Indian Reservation, Florida, 1984

Dieser Essay entstand in einem Dialog mit vielen Menschen. Mein besonderer Dank gilt Marina Fokidis, Brian Holmes, Kyle Kajihiro, Quinn Latimer, Anna Papaeti, Laura Preston und Alfredo Triff.

Aus dem Englischen von Robert Schlicht

1 Spencer R. Weart, The Discovery of Global Warming, Cambridge, MA: Harvard University Press 2003.

2 Winona LaDuke, All Our Relations. Native Struggles for Land and Life [1999], Chicago: Haymarket 2015, S. 1.

3 Linda Hogan, Dwellings. A Spiritual History of the Living World, New York: Norton 1995, S. 107.

4 Ahmed Djoghlaf, „Message on the Occasion of the International Day for Biological Diversity“, Dokument des Exekutivsekretärs, vorgelegt für das Sekretariat der Biodiversitätskonvention, Montreal, 22. Mai 2007.

5 Elizabeth Kolbert, The Sixth Extinction. An Unnatural History, London: Bloomsbury 2015. Die eingehendste Reflexion über das Aussterben, die mir aus neuerer Zeit bekannt ist, stammt von Thom van Dooren, Flight Ways. Life and Loss at the Edge of Extinction, New York: Columbia University Press 2014).

6 Im Jahr 1972 formulierte Herbert Marcuse im Kontext des entstehenden Diskurses über den „Ökozid“, der durch den Einsatz von Agent Orange durch das US-amerikanische Militär in Vietnam veranlasst war, am Rande die Begriffe des Genozids und des Ökozids. Vgl. Marcuse, „Ecology and Revolution“, in: Liberation, 16 (September 1972), S. 10–12. Auch wenn Ökozid-Studien im Zeitalter des Anthropozäns unumgänglich geworden sind, ist der Genozid-Ökozid-Komplex der Moderne von kritischen Theoretikern größtenteils noch kaum behandelt worden.

7 Vgl. Idle No More, online unter: www.idlenomore.ca; das Indigenous Environmental Network, online unter: www.ienearth.org; und La Via Campesina, online unter: www.viacampesina.org/en. Der Begriff des indigenen „Wiedererstarkens“ wurde von dem Theoretiker Gerald Taiaiake Alfred, einem Angehörigen der Kanien'kehá:ka (Mohawk), und dem Theoretiker Jeff Corntassel, einem Angehörigen der Tsalagi (Cherokee), entwickelt. Vgl. etwa Alfred, „Being and Becoming Indigenous. Resurgence against Contemporary Colonialism“, 2013 Naarm Oration, University of Melbourne, online unter: www.taiaiake.net/2013/12/13/being-and-becoming-indigenous-resurgence-against-contemporary-colonialism; sowie Corntassel, „Re-envisioning Resurgence. Indigenous Pathways to Decolonization and Sustainable Self-Determination“, in: Decolonization: Indigeneity, Education & Society, 1, 1 (2012), S. 86–101.

8 Vgl. Andreas Malm und Alf Hornborg, „The Geology of Mankind? A Critique of the Anthropocene Narrative“, in: The Anthropocene Review 1, 1 (April 2014), S. 62–69; Donna Haraway, „Anthropocene, Capitalocene, Plantationocene, Chthulucene. Making Kin“, Environmental Humanities, 6 (2015), S. 159–165; und Jason W. Moore (Hrsg.), Anthropocene or Capitalocene? Nature, History, and the Crisis of Capitalism, Oakland: PM Press 2016.

9 Als „Moderne“ bezeichne ich die materielle Welt, die vom herrschenden (kapitalistischen) globalen sozialen Prozess produziert und reproduziert wird. „Modernismus“ ist die Kultur und Ideologie, die die Moderne motiviert und rechtfertigt. Die „Modernen“ sind jene von uns, die sich vielleicht nicht von der Begeisterung über die Moderne anstecken lassen, sie womöglich sogar infrage stellen, sich der Moderne im praktischen alltäglichen Leben aber dennoch nicht aktiv entgegenstellen. Kulturelle „Postmodernismen“ mögen zwar im Entstehen sein, doch die „Postmoderne“, so behaupte ich, existiert noch nicht, genauso wenig wie eine wahrhaft „postkoloniale“ Welt.

10 Vieles von dem, was heute verlorengeht, wird nie zurückgewonnen werden können; die Anthropologin Anna Tsing betont zu Recht, dass die Aufgabe darin besteht, in den Trümmern zu überleben, und nicht, „Lösungen“ für die Probleme des Anthropozäns zu finden. Vgl. Tsing, The Mushroom at the End of the World. On the Possibility of Life in Capitalist Ruins, Princeton: Princeton University Press 2015.

11 Jean-François Lyotard, La Condition postmoderne. Rapport sur le savoir, Paris: Éditions de Minuit 1979. Übers. von Otto Pfersmann als: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht, 7., überarb. Aufl., Wien: Passagen 2012.

12 Der vorliegende Essay versucht, einige vermeintliche theoretische Hindernisse für eine solche Allianz auszuräumen. In Bezug auf die praktischen Hindernisse vgl. Clare Land, Decolonizing Solidarity. Dilemmas and Directions for Supporters of Indigenous Struggles, London: Zed 2015. Eine hilfreiche Auswahl an Fallstudien und Reflexionen bietet Lynne Davis (Hrsg.), Alliances. Re/Envisioning Indigenous-non-Indigenous Relationships, Toronto: University of Toronto Press 2010.

13 Ich zitiere die jeweiligen Arbeiten an den Stellen, wo ich mich mit ihnen beschäftige. Mein Verständnis indigener Völker und indigenen Wissens bezieht sich vorrangig auf den nord- und südamerikanischen Kontext. Ich räume ein, dass die afrikanischen, ozeanischen und asiatischen Kontexte hier unterrepräsentiert sind; darin zeigt sich nichts anderes als die Grenzen meines eigenen derzeitigen Wissensstands. Die Frage, was „indigen“ in europäischen Zusammenhängen bedeuten mag, ist wichtig und politisch anregend, kann hier jedoch nicht behandelt werden.

14 Sandy Grande, Red Pedagogy. Native American Social and Political Thought, Lanham, MD: Rowman & Littlefield 2004.

15 Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main: Fischer 1988.

16 Walter Benjamin, „Zum Planetarium“, in: Werke und Nachlaß, Bd. 8: Einbahnstraße, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2009, S. 75 f.

17 Hogan, Dwellings, S. 89. Hier wäre vielleicht der Ort, um zu sagen, wie sehr mich Linda Hogans Romane beeindruckt haben, insbesondere Solar Storms, New York: Scribner 1995, Power, New York: Norton 1998, und People of the Whale, New York: Norton 2008.

18 Hogan, Dwellings, S. 89.

19 Ich beziehe mich hier auf Adorno, mit dessen Werk ich mich lange beschäftigt habe. Über die negative Präsentation des historischen Traumas vgl. mein Terror and the Sublime in Art and Critical Theory, New York: Palgrave Macmillan 2011.

20 Als ähnliche, hilfreiche Reflexion über diese Notwendigkeit vgl. Shierry Weber Nicholsen, The Love of Nature and the End of the World. The Unspoken Dimensions of Environmental Concern, Cambridge, MA: MIT Press 2002.

21 Grande, Red Pedagogy, bes. Kap. 3.

22 Linda Tuhiwai Smith, Decolonizing Methodologies. Research and Indigenous Peoples, London: Zed 1999, S. 19.

23 Ebd., S. 6.

24 Robin Wall Kimmerer, Braiding Sweetgrass. Indigenous Wisdom, Scientific Knowledge and the Teachings of Plants, Minneapolis: Milkweed Editions 2013, S. 17.

25 Mary Graham, „Some Thoughts about the Philosophical Underpinnings of Aboriginal Worldviews“, in: Australian Humanities Review, 45 (November 2008), S. 181–194, hier S. 181.

26 Grande, Red Pedagogy, S. 65: „Die Stimmen der indigenen und anderen nichtwestlichen Völker werden zunehmend lebendig, nicht weil diese Völker kategorisch über eine Art magischer, mystischer Kraft verfügen würden, mit der Missbrauch und Gleichgültigkeit über zahllose Generationen geheilt werden könnten, sondern weil nichtwestliche Völker und Nationen als lebendige Kritik an der herrschenden Kultur existieren und kritisches Wissen und potenziell transformative Paradigmen bieten.“ Vgl. auch Smith, Decolonizing Methodologies, S. 12 f.: „Ich glaube, dass unser Überleben als Völker sich unserem Wissen über unsere Kontexte, unsere Umwelt verdankt und nicht einer aktiven Wohltätigkeit unserer Erdmutter. Wir mussten wissen, wie man überlebt.“

27 Dies wäre die ökologisch-wissenschaftliche Übersetzung indigener Vorstellungen von mehr-als-menschlichen Verwandtschaftsbeziehungen. Zu Ersteren vgl. Van Dooren, Flight Ways, S. 41–43.

28 Kimmerer, Braiding Sweetgrass, S. 15.

29 David Abram, Becoming Animal. An Earthly Cosmology, New York: Vintage 2010, S. 7. Vgl. auch Abram, The Spell of the Sensuous, New York: Vintage 1996.

30 Einen Überblick über die Geschichte dieser kulturellen Abstammungslinien im Hinblick auf die Entstehung der „tiefen Ökologie“ bietet George Sessions (Hrsg.), Deep Ecology for the 21st Century, Boston: Shambhala 1995.

31 Val Plumwood, Environment and Culture. The Ecological Crisis of Reason, New York: Routledge 2002; Donna Haraway, When Species Meet, Minneapolis: University of Minnesota Press 2008; und Anna Tsing, „Arts of Inclusion, or, How to Love a Mushroom“, in: Australian Humanities Review, 50, Mai 2011, S. 5–21. Vgl. auch Katherine Gibson, Deborah Bird Rose und Ruth Fincher (Hrsg.), Manifesto for Living in the Anthropocene, Brooklyn: Punctum 2015.

32 Horkheimer und Adorno, Dialektik der Aufklärung, S. ix.

33 Für eine Diskussion dieser Dokumente im Zusammenhang vgl. Sharon J. Ridgeway und Peter J. Jacques, The Power of the Talking Stick. Indigenous Politics and the World Ecological Crisis, Boulder: Paradigm 2014.

34 Diese Statistik stammt von Walter Kälin von der Genfer Nansen-Initiative. Vgl. die Zusammenfassung online unter: http://www.swissinfo.ch/ger/nansen-initiative_klimafluechtlinge-kommen-auf-internationale-agenda/41707886.

35 Die indigenen Völker Floridas wurden ausgelöscht, bevor sie ihre eigenen Berichte über das Trauma der kolonialen Invasion und des Genozids hinterlassen konnten. Zu den historischen Werken nichtindigener Historiker, Anthropologen und Archäologen, die keinesfalls einen Ersatz darstellen können, zählen: John H. Hann, Indians of Central and South Florida, 1513–1763, Gainesville: University Press of Florida 2003; Jerald T. Milanich und Samuel Proctor (Hrsg.), Tacachale. Essays on the Indians of Florida and Southeastern Georgia during the Historic Period, Gainesville: University Press of Florida 1994; Paul Kelton, Epidemics & Enslavement. Biological Catastrophe in the Native Southeast, 1492–1715, Lincoln: University of Nebraska Press 2007; Alan Gallay, The Indian Slave Trade. The Rise of the English Empire in the American South, 1670–1717, New Haven: Yale University Press 2002; James W. Covington, The Seminoles of Florida, Gainesville: University Press of Florida 1993; Kenneth W. Porter, The Black Seminoles. History of a Freedom-Seeking People, hrsg. v. Alcione M. Amos und Thomas. P. Senter, Gainesville: University Press of Florida 1996; und Bruce Edward Twyman, The Black Seminole Legacy and North American Politics, 1693–1845, Washington, DC: Howard University Press 1999.

36 Als Einführung zu Pachamama und den Rechten der Natur vgl. online: www.therightsofnature.org/ecuador-rights. Über das Ökozidrecht vgl. online: www.eradicatingecocide.com/the-law; über das Recht der Erde vgl. online: www.earthlawcenter.org/what-we-do.

37 Die Unterscheidung zwischen bedingungslosem Recht und den tatsächlichen, bedingten Gesetzen stammt von Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der „mystische Grund der Autorität“, übers. v. Alexander García Düttmann, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991.

38 Vgl. Ward Churchill, A Little Matter of Genocide. Holocaust and Denial in the Americas, 1492 to the Present, San Francisco: City Lights 1998, und Struggle for the Land. Native North American Resistance to Genocide, Ecocide, and Colonization, San Francisco: City Lights 2002.

39 Ein warmes mahalo an Terrilee Napua Keko’olani, Ikaika Hussey, Keli’i Collier, Kyle Kajihiro und DMZ Hawaiʻi/Aloha ’Āina für ihre großzügige Gastfreundschaft und kōkua, als sie mir 2005 die Wirklichkeit des militarisierten Siedlerkolonialismus in den Vereinigten Staaten zeigten. Online: www.dmzhawaii.org/?page_id=10944.