Keimena #19: 48
von Susana de Sousa Dias

Montag, 24. April 2017, 24.00 Uhr auf ERT2
48, 2009, Portugal, 93 Min.
Regie: Susana de Sousa Dias

In Susana de Sousa Dias’ Film 48 taucht ein Gesicht auf — das Profil einer jungen Frau, ein Schwarz-Weiß-Foto, das vor Jahrzehnten aufgenommen wurde. Ihr Gesicht ist streng, stolz und herb. Doch sie weint. Sie erzählt eine Geschichte von Erniedrigung, Enttäuschung und Niederlage. Sie hat keinen Namen, kein Alter, keinen Körper. Langsam beginnt ihr Bild sich aufzulösen, es verschwindet gleich einem Gespenst. Auf ihr Gesicht folgen die Gesichter vieler anderer Frauen und Männer mit ähnlich festem Blick, die dunkle, peinigende Geschichten erzählen.

Diese Porträts sind Ausgangspunkt für 48. Sousa Dias hat sie in einer Reihe von großen Alben gefunden, die Polizeifotos von politischen Gefangenen enthalten. Diese Alben wurden von der portugiesischen geheimen Staatsschutzpolizei PIDE geführt, einer der Bastionen des autoritären katholisch-nationalistischen Regimes, unter dem das Land zwischen 1926 und 1974 zu leben gezwungen war.

Diese 48 Jahre währende Diktatur der Unterdrückung und Borniertheit war die längste in der Geschichte Europas im 20. Jahrhundert. Sie wurde schließlich durch die Nelkenrevolution beendet, ihre Auswirkungen sind jedoch noch im heutigen Portugal zu spüren.

Indem 48 die alten Porträts der damals jungen Menschen – die unmittelbar nach ihrer Festnahme aufgenommen wurden – mit einer Rückbesinnung auf sie aus Sicht der Gegenwart koppelt, überarbeitet der Film die neuere Geschichte Portugals mithilfe ihrer eigenen Quellen. Er präsentiert einen selten unmittelbaren Zugang zu Erfahrungen aus erster Hand, die unter der Diktatur gemacht wurden. Er entfaltet sich zwischen dem, was geschehen ist, und dem, was bleibt.

Die Porträts der politischen Gefangenen werden langsam, beinahe unmerklich, ein- und ausgeblendet – sie gleichen Fotografien im Entwicklungsbad, die nach und nach sichtbar werden und dann wieder ins Nichts zurücktreten. Doch nichts bleibt, wie es gewesen ist. Wie in einem Klagelied lässt sich eine der Stimmen vernehmen: „… und dann ist da nur mehr die böse Erinnerung an all das Übel, das du erlebt hast, eine Erinnerung, die dir nie mehr aus dem Sinn gehen wird …“

—Filipa Ramos, Autorin und Redakteurin

Gepostet in Öffentliches Fernsehen am 24.04.2017