„Material Matters“ Bibliothek

Die Bibliothek des Projektes „Material Matters“ besteht aus einer Sammlung von Objekten und Klängen, die Künstler_innen der documenta 14 aneducation anvertraut haben.

Mithilfe dieser Bibliothek können Studierende etwas über die miteinander verwobenen Themen wie Migration, Kolonialismus, Tradition, Wirtschaft, Ökologie und Technologie erfahren, denen sich die documenta 14 widmet.

Diese Seite enthält Kurzbeschreibungen und Abbildungen zu jedem Objekt. Sie gibt Einblicke, wie Materialien zum Prozess künstlerischen Schaffens beitragen.


Daniel García Andújar
Material: 3D-Druck eines Modells einer Marmorskulptur

Dies ist ein ganz gewöhnliches Bild, das sich von der „klassischen Methode“ der Repräsentation ableitet, die letztendlich zur üblichen Methode der Repräsentation von Realität wird, hier der des menschlichen Körpers. Die meisten dieser Einflüsse entstammen der Zeit der Klassik, die 500 vor Christus begann. Der Gegenstand selbst ist ein 3D-Druck, ein Plastikobjekt, das ein Stück Marmor vortäuschen soll, die Skulptur des Diadumenos.

Ich nutzte dafür eine Art von „Sprach-Hacking“, wie ich es nenne. Wenn man das System als Ganzes und seine Sprache versteht, dann besitzt man die Fähigkeit, es zu hacken – sei es zum Guten oder Schlechten. Man kann diese Sprache zur Verwandlung, für kleine Transformationen verwenden wie bei diesem Bildobjekt – eine klassische Skulptur, die die klassischen Konventionen durchbricht, weil sie den Körper in verschiedenen Proportionen darstellt.

Anhand von diesem Objekt können wir neu darüber nachdenken, warum wir alle gleich aussehen. Jetzt sind wir in der Lage, unsere Körper zu transformieren. Wir sind selbst-präsentierend. Wir machen Selfies, Leute machen Selfies, täglich Abermillionen, und doch sehen alle gleich aus. Sie verwenden die gleiche Technik, die gleiche Distanz, die gleiche Einstellung zur Repräsentation. Das ist eine Simplifikation unserer Welt, eine Simplifikation der Realität, und vielleicht können wir stattdessen unterschiedliche Repräsentationswerkzeuge und -methoden verwenden.

Ich glaube, dass Kunst die Fähigkeit hat, Realität zu transformieren. Ich glaube, dass die Kunst uns gestattet, Modelle des Widerstandes zu schaffen, die die kulturellen Praktiken, die von den Mechanismen der Digitalisierung übernommen wurden, in einen kreativen Prozess verwandeln. Das führt nicht notwendigerweise zu kultureller Anpassung und der passiven Rezeption globalisierter Kulturen. Die Strukturen, die wir schaffen, konditionieren unsere Realitätswahrnehmung, aber wir können sie modifizieren, sogar transformieren, und vielleicht können wir sogar als eine Form des Widerstandes den Körper eines Arbeiters hacken.


María Magdalena Campos-Pons
Material: Yoruba-Skulptur, Kokusnussschale

Ich habe ein kleines Objekt mitgebracht, das in Kuba Tradition hat. Ich bekam es von Rubier Bernabeu, einem Künstler aus der Stadt Matanzas, dem sogenannten Athen Kubas. Das Objekt besteht aus zwei Teilen: aus der halben Schale einer Kokosnuss und der halben Schale einer Frucht namens güira, die man zum Musikinstrumentenbau verwendet. Güira wird auch für die Herstellung der Idole des Yoruba-Geistes Elegua verwendet. Elegua ist der Gott des Weges, der Gott der Straße, derjenige, der das Sagen über dein Schicksal hat. Er ist ein Schwindler, den man oft in der Form eines boshaften Kindes darstellt.

Beide Materialien werden oft unterschiedlich verwendet und haben eine unterschiedliche Geschichte, werden aber immer mit Yoruba und anderen aus Afrika stammenden Religionen und Praktiken in Kuba in Verbindung gebracht. Beide werden als Perkussionsinstrumente verwendet und auch für die Herstellung von Götterbildern und Symbolen innerhalb der afrikanischen Traditionen der Idolatrie. Man verwendet sie auch als Behältnisse, als Trink- oder Aufbewahrungsgefäße oder als Materialien, die man verehrt.

Ich interessiere mich für die Art ihrer Oberflächen, die organische, fleischige, eigenartige Textur. In meiner Arbeit Matanzas Sound Map (2017), die ich in Athen hergestellt habe, versuchte ich Materialien zusammenzubringen, die wir nicht oft in zeitgenössischen Kunstausstellungen finden. Kokosnussrinde, Borke von Palmen, eine Kokosnuss in einem Einmachglas. Ich habe Weinranken die klingen, Borken, die klingen, Blumen, die sehr selten und auf eine spezielle Art blühen, schwere Oberflächen wie rostiges Eisen und rohes Glas. In meiner Vorstellung ist dieses Kunstwerk ein lebender Organismus.

Im richtigen Kontext würden die beiden Objekte mit Tabak oder Rum befüllt. Sie sind während ihrer gesamten Existenz lebendige Organismen. Mit bester Absicht könnte man sie verehren und etwas griechischen Schnaps oder irgendetwas anderes hineingeben, das man für angemessen hält. Ich bin sicher, mit dem Segen der positiven Energien wäre das in Ordnung.


Nikhil Chopra
Material: Spielzeugboote

Diese Boote kommen von einem Flohmarkt in Athen. Dem Anschein nach handelt es sich um strategische Marineboote. Ich wollte sie in meine Athener Installation Drawing a Line through Landscape (2017) miteinbeziehen, weil ich in der Performance eine Wandzeichnung des Meeres anfertigte. Sie wurden zu einem Mahnmal für den nicht enden wollenden Kampf zwischen Migranten, Flüchtenden, Geflüchteten und den Autoritäten. Ich hängte diese Boote an einer Angelschnur auf, als schwömmen oder schwebten sie.


Ciudad Abierta (Offene Stadt)
Material: Kartenspiel

Das Spielen sollte als poetischer Akt begriffen werden. Sein Prinzip ist die Vorstellung, dass jeder Poesie erschaffen kann. Der französische Dichter Comte de Lautréamont regte an, dass Poesie nicht von einem, sondern von allen geschaffen werden solle.

Jede Karte zeigt ein abstraktes Symbol, das von den Studierenden und Lehrenden der Ciudad Abierta (Offene Stadt) entworfen wurde. Das war der Anfang unserer Aktionsreihe im Paper Pavilion in Athen. Die Idee ist, dass sich ein jeder das Bild anschauen kann und uns ein Wort oder einen Gedanken mitteilt. Wenn wir auf der Straße spielen, kann jedermann befragt werden. Dabei ist es egal, ob die Frage oder der Zweck bekannt ist – die Idee ist einfach, dass das Bild die Leute dazu inspiriert, ein Wort zu sagen. Dann verbindet der Dichter der Gruppe all diese Worte miteinander und schafft ein Gedicht. Das Gedicht ist die Welt, in der alle Teilnehmenden in Sicherheit sind.

Auf der Rückseite einer jeden Karte haben wir neun Punkte miteinander verbunden. Immer auf eine andere Art. Leute geben uns ein Wort und wir verbinden die Punkte mit Linien, sodass ein Zeichen entsteht. Diese auf den Karten platzierten Worte können dann auch für ein Gedicht benutzt werden.

In Athen war das unser poetisches Vokabular. Wir schufen eine Situation und von ihr aus bildeten wir Beziehungen, die mit Inhalt gefüttert wurden. Das Material der Arbeit ist Handlung, die Vereinigung von Ort und den dort anzutreffenden Leuten. In gewissem Sinn feiert das Spiel also das „In-Erscheinung-Treten des Ortes“ in dem Augenblick selbst.

Der poetische Akt (oder das Spiel) ist die Grundlage unserer Arbeit. Er ist ein Dialog zwischen allen Handelsformen der Welt und der Poesie. Der zentrale Gedanke ist, Poesie in Handlungen auszudrücken, an poetischen Orten, immer durch das Kollektiv. Wir kommen ohne Ideen an, nur mit einem Namen, Paper Pavillion (in Athen), und wir haben Materialien, die Werkzeuge, Menschen, und – parallel dazu – Kartenspiele. Wir beginnen das poetische Spiel im Raum und in der Gegenwart, und die anwesenden Menschen sind das Hauptmaterial. Die Konstruktion – unser Paper Pavillion – verleiht Form, sichtbar gemacht durch die Poesie des jeweiligen Aktes.


Moyra Davey
Material: Notizbuch

Immer, wenn ich dieses Notizbuch öffne, erinnere ich mich an eines aus meiner Kindheit – auch wenn ich das Aussehen oder das Gefühl dieses imaginären Büchleins nicht mehr genau heraufbeschwören kann. Es ist ein sonderbares Gefühl, sich täglich an ein Objekt aus der Vergangenheit zu erinnern, ohne in der Lage zu sein, es sich ins Gedächtnis zu rufen. Vielleicht gibt es einmal einen Proust’schen Moment, in dem ich das Ding streife, sodass sich mir endlich Details und Zeitumstände des ursprünglichen Notizbuchs enthüllen.


Bonita Ely
Material: Gefundene Plastikgegenstände

Ich beschloss, ein Paket mit Plastikmüll, den ich auf den Straßen von Sydney gefunden hatte, mit der Post zu verschicken. Es war schwierig, aus all dem Müll eine Auswahl zu treffen.

Meine künstlerischen Arbeiten, meine Skulpturen, sind aus diesem Plastikmüll gemacht. Was ich damit zeigen will, ist nicht nur, dass Plastik die Umwelt verschmutzt, sondern auch, wie dumm wir sind; so vieles, das aus Plastik hergestellt wird, ist absolut nutzlos oder könnte aus anderen Materialien hergestellt werden, die die Umwelt nicht verschmutzen würden. Warum benutzen wir eine Plastikflasche, wenn wir Leitungswasser aus einem immer wieder verwendbaren Behältnis trinken können. Warum Plastiktüten, wenn wir eine Einkaufstasche aus Stoff nehmen können?

Ich könnte noch vieles auflisten, aber das ist ja alles bekannt. Zum Beispiel habe ich dieses niedliche Kuscheltier auf der Straße gefunden. Es ist aus synthetischem Stoff. Wenn man synthetischen Stoff in eine Waschmaschine steckt, dann brechen seine Fasern auf. Das Wasser, das nach der Klärung über Abwassersysteme in die Ozeane fließt, enthält dann winzige Mikroplastikteilchen. Fische und alle anderen Lebewesen der Flüsse und Meere nehmen diese unsichtbaren Schmutzpartikel auf. Dann essen wir diese Fische und die Schmutzteilchen gelangen in unser Verdauungssystem. Klar ist, dass wir die Ursache dafür sind, also ist es in Ordnung, wenn wir vergiftet werden.

Allerdings vergiften wir jede Form von Leben, nicht nur uns selbst.


Aboubakar Fofana
Material: Indigo-Textilien, Indigoblätter und kerne, handgewebter Stoffballen

Das Lied des Webstuhls

Der eine weiß etwas, das der andere nicht weiß
Jemand weiß es nicht, aber ein anderer weiß es genau
erklärt die Garnrolle

Eine geht voran, die andere folgt
Eine folgt der anderen, aber eine andere geht voran
schlägt das Pedal

Jemand geht weg, während ein anderer ankommt
Jemand kommt an und eine andere Person geht
singt das Schiffchen

Jemand steigt empor und eine andere stürzt herab
Jemand stürzt herab, während ein anderer emporsteigt
sagt die Spindel

Verstehen! Harmonie! Akkord!
Nichts ist so wertvoll wie diese
So wurde die Welt errichtet und so wird sie enden
So wurde die Welt geboren und so wird sie aufhören
hämmert der Schlegel.


Gauri Gill
Material: Foto, Kodakfilm, Quilt-Stoff

Ich trage ein Stück Quilt-Stoff bei, den Jogi-Frauen bestickt haben. Meine Jogi-Freundinnen sind Nomaden, die in der Wüste Rajasthans leben. Sie gehören zu den ältesten Nomaden, die auf der Erde umherziehen und sind in mehrfacher Hinsicht die Vorfahren der europäischen Roma. In Lunkaransar, wo dieser Stoff bestickt und zusammengenäht wurde, sammeln die Frauen zu Hause alte Stofflumpen und stellen Patchwork-Stoff her, der vielseitig verwendbar ist. Ich finde es inspirierend zu sehen, dass die Frauen viel Arbeit darin investieren, den Stoff schön werden zu lassen, obwohl er aus alten Materialien recycelt und für den alltäglichen Gebrauch bestimmt ist. In den letzten Jahren habe ich mit einigen der jüngeren Frauen zusammengearbeitet und versucht, diese Quilts für den Verkauf herzustellen: Wir haben nicht mehr benötigte Stoffreste der örtlichen Schneidereien oder von handwerksorientierten NGOs gesammelt und nähen diese Stücke mit der Hand oder mit Nähmaschinen, die zu bedienen sie gelernt haben, zu neuen Designs zusammen. Wir hoffen, eine Selbstversorgungs-Kooperative für junge Frauen zu schaffen und ihnen ein besseres Auskommen zu ermöglichen. Ohne regelmäßiges Einkommen kann das Leben für sie beschwerlich sein; kein Landbesitz oder fehlender Zugang zu Bildungseinrichtungen oder Arbeit, Grundvoraussetzungen, die wir als gegeben ansehen, machen sie zu Randexistenzen und abhängig von der Gnade der Durchschnittsgesellschaft.

Manchmal betrachte ich die Fotografie als meine eigene Art der Stickerei, und den Prozess der Verarbeitung von Film und Papier für Bilder in der Dunkelkammer als etwas dem Handwerk verwandten – durch das langsame Tempo, den Einsatz der menschlichen Hand dabei, und wie Missgeschicke Teil des Prozesses sind und sich in das, was erschaffen wird, einfügen.


Irena Haiduk
Material: Buch, Siegel, Graphit

Das sind ein Siegel und ein Manifest, das ich 2008 und 2013 schuf, nachdem die Hypothekenkrise in den USA eingeschlagen hatte. Bei dem offiziellen Siegel handelt es sich um das Logo und Emblem der Gesture Guild (GG). Diese Arbeit war eine okkulte Beratungsfirma, die Besucher auf den Moment vorbereitet, in dem die Fabriklöhne in der sogenannten Ersten und Dritten Welt gleich sind. Das Siegel zeigt zwei Schwäne in Pfützen ihres Blutes, durchstochen von GG.

Für mich stellen Schwäne die flauschige Poesie dar, mit der ich gute Manieren, Höflichkeit und Feigheit assoziiere, Dinge die der Realismus meiner Arbeit nicht speist. Am meisten beschäftige ich mich, materiell betrachtet, mit dem Thema des Gewichts. Wir werden vom Gewicht des alltäglichen Lebens, der politischen und ökonomischen Probleme, erdrückt, weshalb ich mir oft die Aufgabe stelle, das Gewicht wegzuheben und Bewegung freizusetzen.

Bon Ton Mais Non ist ein Instrument der Unbeschwertheit. Es besitzt den strafenden Humor der Sirenen. Der Schriftzug „Hoffnung ist die größte Hure“ ist auf das Cover gedruckt. Das Manifest wird zu verhandelbaren Preisen verkauft, wenn jemand es kauft, wird das Wort „Hoffnung“ durchgestrichen und an die Stelle der Name der Person geschrieben, die es gekauft hat. Ich finde, dass es sich bei der Hoffnung um eines der Dinge handelt, die am schwersten auf unseren Schultern lasten, weil uns in den Gesellschaften, in denen ich gelebt habe, die Hoffnung bewegungsunfähig macht und uns in eine Art Wartehaltung versetzt, in der wir einer versprochenen Zukunft entgegenschmachten, die niemals eintrifft.


Gordon Hookey
Material: Pinsel

Das sind die Pinsel, die man für das Bemalen der Mauern neben der alten Bibliothek der ASFA verwendet hat. Sie beizutragen, hielt ich für eine schöne Geste, denn es sind genau die Pinsel, die wir für die Arbeit benutzt haben. Ich malte mit den Pinseln rot, gelb und blau, die Primärfarben. Natürlich kann man, wenn man diese Farben mischt Orange, Grün und Lila herstellen, um den Regenbogen entstehen zu lassen, der neben der geballten Faust eins der zentralen Bilder auf meinem Wandgemälde ist.

Der Regenbogen ist ein vielschichtiges Symbol. In einigen europäischen Kulturen glaubt man, dass sich am Fuß des Regenbogens ein Topf mit Gold befindet. Der Regenbogen wird so zu einem Symbol für Reichtum. Meine Vorfahren sind Aborigines. Wir haben Geschichten über mächtige Geister der Ahnen und einer ist die Regenbogenschlange. Eine Geschichte besagt, dass Regenbogenschlangen, eine männliche und eine weibliche, beim Aufstieg in den Himmel, den Geist von allem Leben auf der Erde mit sich nehmen, sich lieben und sich vermehren. Wenn es regnet, dann gebiert der Regen, und jeder Geist, der mit hinaufgestiegen ist, wird erneuert.


Andreas Ragnar Kassapis
Material: Telefon

Dieses Objekt ist ein ganz gewöhnliches Telefon, wie man es in den 1980er und 1990er Jahren in Griechenland verwendete. Es fiel mir auf, weil es in meinem Atelier stand, als ich einzog und den Leuten gehörte, die den Raum vor mir genutzt hatten. Ich fotografierte es mehrfach und verwendete die Fotos als „Modelle“ für die Serie gemalter Bilder mit dem Titel Things That Bend (2017). Für mich ist dieses Telefon ein Symbol der Distanz. Es ist ein Mechanismus der Distanz im kollektiven wie persönlichen Gedächtnis.


Khvay Samnang
Material: Rindentuch

Während meiner frühen Forschungen im Areng-Tal in Kambodscha suchte ich nach allen möglichen Gegenständen, die einen Bezug zur Kultur der indigenen Chong hatten. Ich stellte fest, dass es gegenwärtig nichts gibt, was ihre Kultur deutlich erkennbar macht (außer einem Musikinstrument) und fragte mich warum. Ganz bestimmt muss es früher etwas gegeben haben – wie waren sie einst gekleidet?

Der einzige, offiziell anerkannte (materielle) Gegenstand der Chongkultur ist ein Musikinstrument. Viele der anderen indigenen Gruppen in Kambodscha haben zum Beispiel hoch entwickelte Web- und Flechttraditionen und eine spezielle Architektur. Ich glaube, das Fehlen eines gegenständlichen Erbes der Chong rührt teilweise daher, dass sie die einzige indigene Gruppe sind, deren Landrecht nicht anerkannt wurde. Als ich zu Beginn meiner Nachforschungen viele Interviews führte, fragte ich danach, doch die meisten wussten nichts. Eine alte Frau erinnerte sich an das Rindentuch. Ich bat einen Mann aus der Dorfgemeinde, den Baum zu suchen, um das Rindentuch erneut herzustellen. Ich wollte es für ein Kostüm für Nget Rady, einen Choreografen, Tänzer, um den es (zusammen mit der Landschaft selbst) in meiner Arbeit Preah Kunlong (The way of the spirit, 2017) geht. Nach einigen Versuchen gelang die Herstellung des Rindentuchs. Mir war nicht bewusst, welche Bedeutung dieses Experiment innerhalb der Gemeinde hatte, bis man mir ein Foto zeigte, das hier eingefügt ist. Die Gruppe stellte mehr Rindentuch her und fertigte eine Ausstattung für eine Zeremonie zu Ehren indigener Kulturen im wichtigsten Theater von Phnom Penh an – jetzt haben sie also den Rindenstoff und das Instrument.


Katalin Ladik
Material: Tonaufnahme, Bilder

Mein Beitrag besteht aus verschiedenen Bildern und einer Tonaufnahme mit dem Titel It's Time (2017). Das erste Foto zeigt ein Bildobjekt, das ich 2014 für Luciano Benettons Kunstsammlung Imago Mundi geschaffen habe. Dieses Objekt habe ich später als Partitur für die Tonaufnahme verwendet. Mein zweites Foto zeigt diese Aufnahme als abstrakte Notation. Das dritte Foto zeigt eine gestickte Version dieser abstrakten Notation.

Nun einige Worte zur Narration des visuellen Gegenstandes von It’s Time und dem It’s Time-Klangobjekt:

Imago Mundi stellte mir eine Fläche zur Verfügung, eine leere Leinwand. Ich habe versucht, diese Fläche mit Zeit zu füllen, indem ich Raum und Zeit unter der Verwendung von Nullen und Einsen zu einem einzigen verwobenen Kontinuum verbunden habe, das Kontinuum weiblicher und männlicher Prinzipien. Die Anordnung des Kontinuums wird durch das Auftauchen der Ziffer Sechs gestört, einer Dezimalzahl, die nicht zum binären System – also der digitalen Welt – gehört. Sie beginnt, die visuellen Elemente der Struktur, den Klang, die Raumzeit zu verzerren. Das Auftauchen von 666, der Bibel nach die Zahl für die Bestie, die Zahl der Apokalypse, die Zahl für den Teufel, zeigt sich als ein Virus und erhebt die Frage nach der Zerstörbarkeit der Zeit selbst. Die Sicherheitsnadel ist der Sicherheitsgurt für die Zukunft: Mann und Frau verschmelzen in eins.

Hier dreht und wendet sich das Innere der Narrative des visuellen Poesieobjektes. Es gibt aber auch eine Wandlung vom sichtbaren Objekt zum Hörobjekt, bei der das visuelle Objekt für mich zu einer Notation für Aufführung und Aufnahme wurde.

Dann erstellte ich in Korrelation zu dem Klangmuster mit all seinen Störungen die Partitur, die auf meinem zweiten Foto zu sehen ist. Es ist der Übergang vom Klang zurück zum Sichtbaren. Unter Verwendung der neuen Partitur als Muster, stickte ich sie auf ein Taschentuch von der Größe einer Handfläche und fotografierte es. Letztendlich ist das der Übergang von der rohen Skizze zum Gestickten. Ganz zu Schluss wendete ich das gestickte Objekt von der „richtigen Seite“ auf die „falsche Seite“, drehte also die Unterseite nach oben.

Ich möchte das Geheimnis des Fadens erkunden. Wie formen sich Muster? Die Schönheit erscheint auf der Oberfläche, aber die Schaffensfreude findet auf der umgekehrten Seite statt, auf der Unterseite. Energie, die von Restriktionen befreit ist, entfaltet sich und obsiegt. Sie folgt nicht den Regeln, sie verwandelt sich in Freude und Schmerz.

Ibrahim Mahama
Material: Jutesack, Nadeln, Metallschilde, alte Karte

Wenn Objekte produziert werden, sammeln sie Erinnerungen an und über die Zeit ihrer Existenz verändert sich ihre Lebensform. Die Metallschilder werden normalerweise als Siegel benutzt, wenn Waren wie Kakao international verschifft werden. Sie stehen in Verbindung mit Karten, die aus dem System kolonialer Ausbeutung stammen, das eine Reihe geografischer Regionen kategorisierte und abteilte. Diese Vermächtnisse haben unser modernes Leben geprägt, viele restriktive Elemente geschaffen, die den Körper auf bestimmte Räume festschrieben. Diese Ansammlungen charakterisieren die Objekte, die ich sowohl aus politischen als auch ästhetischen Überlegungen eingereicht habe, die wiederum aufgrund ihrer politischen Implikationen für mich wichtig sind. Diese Materialien – die Karte aus dem Archiv, der Jutesack, die Metallschilde – sind wie Flecken, die uns nicht nur an das koloniale Erbe erinnern, sondern auch an die Krise und das Scheitern des modernen Kapitals. Gleichzeitig geben sie kurze Einblicke in mögliche zukünftige Zeiten, die von denselben Krisen und demselben Scheitern geprägt sind. Form ist politisch.


Hans Ragnar Mathisen/Keviselie
Material: Bleistifthalter

Für meine Kunst verwende ich Tinte, Bleistifte und Farbstifte. Künstler müssen Obacht geben, dass sie kein Material verschwenden, denn zumindest in meiner Jugend waren Künstler arm. Wir müssen sorgsam mit unseren Ressourcen umgehen. Wenn der Bleistift so klein ist, dass er kaum noch zu verwenden ist, dann habe ich diese Verlängerungshülse, die ihn länger macht, den Stift kann man problemlos bis an sein Ende benutzen.

In meiner Arbeit erstelle ich handgemachte Karten von Gegenden aus den Ursprungsgebieten der Samen, mit Ortsnamen der Samen, denn die sind anders, einzigartig und viel inhaltsvoller als die norwegischen Namen für die gleiche Gegend.

Karten wie diese werden mit Tinte, Bleistiften, Farbstiften und Farbkreiden gemalt. Ich verwende diese Kreiden um die Karten zu kolorieren, sie sind sehr teuer, Kreiden in Topqualität, deshalb muss ich bei ihrer Verwendung vorsichtig sein.


Marta Minujín
Material: Buch, Nest aus Ton

Leben beginnt eingeschlossen, geschützt, warm im Inneren eines Nistkastens.

Das Nest ist eine der starken Integrationskräfte für Gedanken, Erinnerungen und Träume.

Für jeden von uns gibt es ein traumartiges Haus, eine Welt für Träume und Erinnerungen.

Ohne ein Nest wäre der Mensch ein zerrüttetes Wesen.


Naeem Mohaiemen
Material: Schallplatten-Box, Laser-Disk

Das ist ein berühmtes Plattenalbum mit dem Titel The Concert for Bangladesh, das aus einem Konzert hervorging, das George Harrison 1971 im Madison Square Garden in New York organisiert hatte. Ostpakistan hatte sich von Westpakistan abgespalten und wurde ein separater Staat: das heutige Bangladesch. Das führte zu einer kriegerischen Auseinandersetzung. Es handelte sich um einen Bürgerkrieg, der zum Bangladesch-Krieg wurde. In der Zeit fand im Madison Square Garden dieses Konzert statt, um Geld für all die Flüchtlinge zu sammeln. 10 Millionen Menschen zogen für immer von Ostpakistan über die Grenze nach Indien.

Das Konzert wurde zum Vorbild für Mega-Wohltätigkeitskonzerte, eine Abkehr vom Vorgänger Woodstock und eine Entschuldigung für die dunkle Nacht des Rolling Stones-Auftritts in Altamont (bei dem die Hell Angels den Afroamerikaner Meredith Hunter, ein Besucher des Konzerts, totschlugen). Es war auch die Erstbegegnung der westlichen Welt mit Ravi Shankar und der Klassischen Indischen Musik. Shankar spielte „Bangla-Dhun“, und davor gibt es einen kurzen Abschnitt, bei dem er und seine Band rund fünf Minuten lang spielen. Sie enden mit einer Pause und alle beginnen zu klatschen und Ravi Shankar sagt: „Wenn Ihnen das Stimmen so gut gefällt, dann hoffe ich, dass Ihnen das Spielen noch mehr Spaß macht.“ Das Konzert beendete alle Gerüchte um eine Wiedervereinigung der Beatles, denn Ringo Starr und George Harrison waren zwar auf der Bühne, aber John Lennon und Paul McCartney nicht.

Ich besitze einige Ausgaben dieses Albums und habe jahrelang über ein Projekt dazu nachgedacht. Die wichtigsten Materialien meiner Arbeit sind kleine historische Objekte. Nicht das Ereignis an sich, sondern das, was am Rande stattfindet. Oft betrachte ich ein historisches Ereignis und stelle mir vor, was die Leute, die nicht im Scheinwerferlicht stehen, wohl gedacht haben. Mich interessieren auch die ungewöhnlichen Überschneidungen der Geschichte Bangladeschs mit anderen historischen Begebenheiten. In diesem Falle überschneidet sich die Geschichte der Musik der Ära nach den Beatles überraschenderweise mit Bangladesch und schließt die Entdeckung Ravi Shankars für den Westen mit ein.

Es ist per se kein nationalistisches Projekt. Es geht nicht darum, Bangladesch oder irgendein anderes Land in das Zentrum einer Narration zu setzen. Es ist eher ein Versuch zu zeigen, dass man überall zufällige Verbindungen finden kann, besonders dann, wenn man durch einen persönlichen Referenzrahmen Geschichten miteinander verknüpft.


Joar Nango
Material: Rentierhaut

Das ist das Gesicht eines Rentiers. Früher verwendete man es, um Schuhe daraus herzustellen. Das Gesicht verschwindet unter der Sohle deines Schuhs und die Nase wurde zu einer nach oben gebogenen Spitze gefaltet. Für das Innere des Schuhs, das man gallohat nennt, verwendete man üblicherweise eine besondere Grasart, suonjit, zur Isolierung.

Diese Tierhaut bekam ich von meiner Tante. Heutzutage benutzt man eher das Leder vom Bein eines Rentiers für die Herstellung solcher Schuhe, aber meine Tante macht sie immer noch manchmal aus Gesichtshaut. Meine Tante ist sehr traditionell und lebt in einer kleinen Sami-Gemeinde namens Maze. Den ganzen Winter über näht sie solche Schuhe und ist eine der wenigen, die dieses Handwerk noch beherrschen.


Courtesy: Rosalind Nashashibi

Rosalind Nashashibi
Material: Tonaufnahme

Mein Beitrag ist die Tonaufnahme zu einem meiner Filme, den ich in Panajachel in Guatemala gedreht habe. Vivian Suter und ihre Mutter Elisabeth Wild kommen darin vor. Sie unterhalten sich mit mir, und ihre drei (oder vier) Hunde fangen an zu knurren und zu kläffen und übernehmen zweimal die Unterhaltung. Wir wollten herausfinden, was da nicht stimmte. Elizabeth und Vivian versuchten – manchmal auf Englisch, manchmal auf Schwizerdütsch – die Hunde zu beruhigen. Ich spreche über den Anlass, auf welche Art und worüber sie sich ärgern, und sie knurren nur und bleiben Tiere im Hintergrund.

Ich finde es spannend, ohne Bilder, einfach nur zuzuhören, denn die Hunde sind physisch so präsent und im Vergleich zu den Frauen völlig anders. Es zeigt sich der Unterschied, die tiefe Kluft, falls man so mag, zwischen Tieren und Menschen, aber auch die Nähe, diese Art emotionaler Komplexität, die wir alle erfahren.

Ich glaube, es ist bemerkenswert, wie Elizabeth und Vivian, Mutter und Tochter, leben. Die Mutter in ihren 90ern, die Tochter in den 60ern, beides Künstlerinnen, die täglich Kunstwerke schaffen, und, egal was ist, zu Hause bleiben mit ihren Hunden und ein paar einheimischen Dorfbewohnern, die sich um sie kümmern. Sie haben dort eine Art Miniökonomie entwickelt, eine sehr sorgsam organisierte Art des Zusammenlebens.


Dan Peterman
Material: Kupferbarren

Ich habe zwei Kupferbarren beigesteuert, die für mein Ingot Project (2017). Das Projekt in Athen setzt sich mit Kupfer auseinander, in Kassel geht es um Eisen, das in Duisburg hergestellt worden ist. Obwohl ich nun die Metalle selbst erwähnt habe, geht es inhaltlich eigentlich eher um Prozesse und Systeme, Ökologie und Ökonomie. Mein Projekt handelt von Materialbewegungen, Recyclingsystemen, Weiternutzungs- und Post-Konsumsystemen. Es geht darum, wie ein Material entdeckt und umgeformt wird und sich später in Produktionsnetzwerke eingliedert. Ich interessiere mich für Systeme, in denen ein Material wirklich beweglich ist, seinen Wert zwischenzeitlich verliert und wieder gewinnt. Mich interessiert, wie es sich durch verschiedene Bezüge bewegt und unterschiedliche Formen annimmt.

Diese Gegenstände haben auch in früheren Generationen eine lange Geschichte. In der Zukunft werden sie vielleicht zu etwas anderem, aber diese ruhige, minimalistische Form des Barrens ist ein Zwischenstadium, möglicherweise befindet sich das Kupfer im Übergang, vielleicht wird es angehäuft. Vielleicht geht es auch nur um die Menge des Metalls, das in die Lieferkette passt. Barren sind nicht alle gleich, aber gemein haben sie diese bestimmte Einfachheit – hinsichtlich ihrer Herstellung, wie man sie bewegen und stapeln kann. Alle haben diese einfachen Funktionen. Es wirkt fast wie ein Design vor dem Design—eine Überlegung: Sie sind der „Nullpunkt des Designs“.


Pope.L
Material: Tonaufnahmen

Dies sind drei von insgesamt 115 Tonaufnahmen, die im Rahmen meines Kunstwerks Whispering Campaign (2016–17) entstanden sind. 100 Tage lang ist in Athen und Kassel das Geflüster von sowohl menschlichen als auch maschinellen Sprechern zu vernehmen. Man begegnet ihm an verschiedenen Stellen: in Restaurants, Parks, Autos, Museen, Bahnhöfen, Einkaufszentren, Toiletten und auf einem Friedhof.

Dieses Geflüster ist mal narrativ, mal historisch, poetisch, rhythmisch – manchmal ist es klar und deutlich zu verstehen, andere Male klingt es wie Unsinn oder Geheimsprache. Es gibt Aufnahmen auf Englisch, Griechisch und Deutsch.

Das Geflüster hat unterschiedliche Inhalte und verwendet eine Reihe von Strategien des Geschichtenerzählens und der mündlichen Traditionen, die von experimenteller Fiktion über griechische Mythologie bis zu den Gebrüdern Grimm reichen. Besonders interessant ist die Erfahrung „eines Fremden, der in einer fremden Stadt ankommt“, die ich im Hinblick auf die lange Migrationsgeschichte in der Mittelmeerregion und die Bewegung von Völkern von einem Ort zum anderen darstelle – einiges Geflüster verwendet Berichte von Migranten. Zusätzlich schiebe ich nicht-narrative Elemente wie Auflistungen zufälliger Zahlenfolgen ein, ähnlich jenen, die in Abhörstationen während des Kalten Krieges verwendet wurden oder Fragmente eines amerikanischen Blues Songs aus den 1930ern. Ich verwende poetisch-freie Methoden, um eine Art codierter oder kryptischer Wahrheit zu zeigen – eine gespenstische Heimsuchung Europas durch Klang.


Lala Rukh
Material: Qalam-Schreibrohre

Der Qalam ist ein Werkzeug, das ich bei meinen Arbeiten verwendet habe. Traditionell ist es ein Schreibgerät aus Schilfrohr, das man zum Schreiben von Urdu, Persisch und Arabisch verwendet. Man schreibt von rechts nach links. Die Spitze des Qalam ist so zu einem Winkel geschnitten, dass der Abdruck die Form einer Raute hat. Schreibt man diese Form auf Papier, dann heißt sie qat. Die Größe des Qalam und des qat definieren die Größe und Proportion der Buchstaben in der Kalligraphie.

Ein Schreibrohr ist von schlechter, das andere von guter Qualität. Das schlechte habe ich selbst geschnitten, und das ging schief. Ich verwende das Qalam und das qat bei Arbeiten, die kalligraphische Formen beinhalten, um rhythmische Muster oder abstrakte Texte auszudrücken.


Cecilia Vicuña
Life crucified by plastic
Material: ungesponnene Wolle, Plastiknetz

Das ist ein Stück Netz aus Plastik, das ich an einem Strand gefunden habe. Heute sind die Ozeane unseres Planeten voller Plastik. Es heißt, in einigen Jahren wird es mehr Plastik als Fische in den Ozeanen geben. Anders ausgedrückt: Wir morden das Leben in den Ozeanen.

Ich hob dieses Stück Plastiknetz vom Strand auf und steckte ein Stück ungesponnene Wolle hinein. Wenn man es anschaut, dann scheint es so, als würde das Objekt sagen socorro, „bitte hilf“. Dieses „bitte hilf“ entsteht durch das lebendige Material im Plastik. Und hier ist das lebendige Material ungesponnene Wolle. Ungesponnene Wolle ist einfach nur das Haar eines Tieres, und der Unterschied zwischen den beiden Materialien, der Gegensatz dieser beiden Materialien, ist der, dass Wolle stirbt. Alles Lebendige stirbt, damit etwas anderes leben kann, aber Plastik stirbt nie.

Alles stirbt, wenn es mit Plastik in Kontakt kommt, auch wir, menschliche Wesen, gehören dazu, denn unsere Körper sind mit Plastik angefüllt.


Lala Meredith-Vula
Material: Zerstückeltes Plastik-Banner

Mein Beitrag für diese Bibliothek hat verschiedene Formen angenommen. Zuerst gab es einen Ausschnitt eines Ereignisses aus den 1990er Jahren, festgehalten auf einem Schwarz-Weiß-Negativ. Dann, 2012, wurde es gescannt und digitalisiert, dann auf Plastik gedruckt, um es für ein paar Monate im Archäologischen Park des Nationalmuseums im Kosovo auszustellen. Schließlich, 2017, verbrannte ich Teile dieses Banners, um ein Puzzle zu kreieren.

Das Foto wurde in den 1990ern aufgenommen. Ich wurde in Sarajevo geboren und kam als Kind nach England (mein Vater stammte aus dem Kosovo, meine Mutter aus England). Als das Foto entstand, war ich in den Kosovo zurückgekehrt, um dort zu leben. Ich machte Kunst, aber es kam zu wichtigen politischen Ereignissen, die Menschen waren unruhig.

Das Foto zeigt eine Begebenheit, der ich beiwohnte: Menschen zogen einen Berg herunter, wo sie eine Versöhnungs- und Vergebungszeremonie vollzogen hatten. Ich hatte keine Ahnung, was da los war und wie wichtig dieses Ereignis war. Ich war Künstlerin, fing Momente ein, ohne eigentliches Verständnis der Situationen. Mit der Zeit, durch wiederholtes Betrachten und Nachdenken, begann ich, mehr zu verstehen. Das Objekt, das ich für Material Matters gemacht habe, besteht aus Fragmenten eines Fotos: ein Puzzle, das die Menschen zusammenfügen müssen, um es zu verstehen.

Die Blutfehde- und Versöhnungsbewegung wurde von Dorfbewohnern im Kosovo zwischen 1990 und 1991 organisiert. Sie verbreitete sich im ganzen Land und wurde zu einem Symbol sozialer Veränderung, da die Menschen begannen, ihre Blutfehden beizulegen. Hakmarrja (Rache) war ein Gesetz aus dem 15. Jahrhundert, das in der albanischen Gesellschaft bestehen blieb. Menschen entwickelten den Wunsch, diese Tradition zu beenden, sich der Vergebung zuzuwenden. Da es eine schwierige Zeit politischer Unterdrückung war, wurden die Treffen oft im Geheimen, auf Bergkuppen und Feldern in der Umgebung der Dörfer abgehalten. Dadurch erklärt sich die ernste Stimmung der Menschen, die da vom Berg herunterkamen, nachdem sie einem Ereignis beigewohnt hatten, bei dem Morde an Familienmitgliedern vergeben wurden. Wie man sieht, gab es keinerlei Pfade. Die Menschen bahnten sich ihren Weg durch die Natur und ich versuchte, diesen Moment einzufangen.


Mary Zygouri
Material: Eierbecher, Stricknadeln, Marmorzylinder, Verbandspflaster

Dies ist eine Assemblage gefundener Objekte, eingesammelt in den Straßen nahe dem Athener Hilton Hotel. Ich fand Stricknadeln, Marmorzylinder, Blasenpflaster und einen Eierbecher aus einem Kühlschrank. Ich interessiere mich dafür, wie diese verschiedenen Materialien miteinander in Verbindung stehen, damit sie für Studierende zu einem interaktiven Spiel werden können. Bei diesem Readymade kann man die Position eines jeden Objektes verändern und unterschiedliche Klänge produzieren.


Impressum

Konzept
Sepake Angiama, Alkisti Efthymiou, Elli Paxinou

Redaktion
Alkisti Efthymiou, Elli Paxinou

Redaktionsassistenz
Simranpreet Anand

Korrektorat
Lenia Mazaraki, Burkard Miltenberger, Alicia Reuter

Übersetzung
Dimitris Saltabassis, Anna-Sophie Springer

Fotografie
Byron Kalomamas

Video
​Ilias Dovletis, Till Krüger, Yuyen Lin

Texte
Daniel García Andújar, María Magdalena Campos-Pons, Nikhil Chopra, Ciudad Abierta (Open City), Moyra Davey, Bonita Ely, Aboubakar Fofana, Gauri Gill, Irena Haiduk, Gordon Hookey, Andreas Ragnar Kassapis, Khvay Samnang, Katalin Ladik, Ibrahim Mahama, Hans Ragnar Mathisen/ Keviselie, Marta Minujín, Naeem Mohaiemen, Joar Nango, Rosalind Nashashibi, Dan Peterman, Pope.L, Lala Rukh, Cecilia Vicuña, Lala Meredith-Vula und Mary Zygouri

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