Das Parlament der Körper: Kunst und KZ Buchenwald – Kunst als Mittel zum Überleben und Widerstand
mit Ulrich Schneider

AUG
28
Vortrag und Diskussion
20–22 Uhr
Fridericianum, Friedrichsplatz 18, Kassel
Als Livestream verfügbar
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Boris Taslitzky, Konversation, Konzentrationslager Buchenwald, 1945, Bleistift auf Papier

Im Zentrum stehen einerseits die Ausnutzung der kreativen und künstlerischen Fähigkeiten der Häftlinge durch die SS, die in der Holz- und Kunstwerkstatt für ihren Bedarf Schnitzarbeiten und andere Kunstwerke durch Häftlinge herstellen ließen. Bekannt sind die geschnitzten Wegweiser am Carachoweg oder der Hinweis zu den SS-Kasernen und dem KZ mit den entsprechenden Figuren. Darüber hinaus ließen die SS-Leute Alltagsgegenstände (Zigarrenkisten, Schreibtischgarnituren) und Dekorgegenstände (Koggen) produzieren. Aber auch für sich selbst stellten die Häftlinge Holzschnitzereien her, wie die verschiedenen Schachspiele oder die berühmte Plastik von Bruno Apitz Das letzte Gesicht zeigen.

Die zweite Ausdrucksform waren Zeichnungen und das grafische Werk, mit dem die Künstler_innen einerseits die Lagerwirklichkeit zu erfassen versuchten, zum anderen durch ihre zahllosen Porträts dazu beitrugen, dass Häftlingen, die später im Lager ermordet wurden oder durch die Haftbedingungen starben, ein persönliches Denkmal gesetzt wurde, sie somit dem Vergessen entrissen werden konnten. Zu den bekanntesten Personen, deren Zeichnungen und Bilder überliefert sind, gehören neben vielen anderen der deutsche politische Häftling Herbert Sandberg, der Niederländer Henri Pieck, die Franzosen Paul Goyard und Boris Taslitzky sowie die polnischen Häftlinge Karol Konieczny und Zdenek Adla. Mit einfachsten technischen Mitteln, oftmals auf der Rückseite von gebrauchten Papierseiten skizzierten sie mit Bleistift, Kohle, Rötel, selten mit Tusche oder Aquarellfarbe ihre Eindrücke.

Bildende Kunst in ihren verschiedenen Ausdrucksformen half in der Zeit der KZ-Haft den Häftlingen zum Überleben und war Medium, die eigene Widerständigkeit zu zeigen.

Nach der Befreiung der Häftlinge war die Bildende Kunst eine Form, das Unsagbare sichtbar zu machen. Überlebende bearbeiten auf diese Weise die Bilder in ihrem Kopf. Präsentiert wurden künstlerische Verarbeitungen von Jósef Szajna (Polen), Boris Lurie, der in New York sogar in einer Künstlergruppe arbeitete, und Fischel Libermann, der in Frankfurt lebte.

Wie weit künstlerische Verarbeitung auch die Erinnerungskultur beeinflusst, zeigt sich am Beispiel der Figurengruppe von Fritz Cremer vor dem Glockenturm in der Gedenkstätte Buchenwald und der Gedenkplatte von Horst Hoheisel und Andreas Knitz auf dem Appellplatz. Dabei stellt sich auch die Frage, in welcher Form die bildende Kunst ein Zugang zu einer für Nachgeborene nur schwer nachzuvollziehenden Wirklichkeit sein kann.


Ulrich Schneider war lange an der Universität Kassel tätig und ist nun Lehrer für Deutsch und Geschichte in Bebra. Seine Fachgebiete sind Germanistik, Geschichte und politische Wissenschaft. Er ist Bundessprecher der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR). Er hat zahlreiche Bücher über antifaschistischen Widerstand, regionale Geschichte und über den Neofaschismus heute veröffentlicht.

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