Hasan Nallbani

Hasan Nallbani, The Action Worker, 1966, Öl auf Leinwand, Sammlung Nationale Kunstgalerie, Tirana, Installationsansicht, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Der albanische sozialistische Realismus umfasst Kunst und Literatur aus fast 45 Jahren, vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1991. Wie der Begriff verrät, verdankte sich diese Kunstauffassung wesentlich dem in der Sowjetunion aufgestellten Kanon des sozialistischen Realismus. In Albanien wurden dessen Beschränkungen rücksichtslos durchgesetzt, wenn man von einer kurzen Phase der Lockerung in den Jahren 1970 bis 1973 absieht. Wie der Kunstkritiker Gëzim Qëndro in seinem Buch Socialist Surrealism schreibt, „will der Sozialistische Realismus den mächtigsten Antrieb der Geschichte, den messianischen Traum, verständlich machen. Ohne Schwierigkeiten erkennt man unter dem dick aufgetragenen Realismus staatstreuer Kunst den irrealen Kern kommunistischer Eschatologie.“ Hauptbestandteil dieser Eschatologie war der Anspruch, den Neuen Albanischen Menschen hervorzubringen. Dieses Geschöpf verkörperte alle sanktionierten Gesellschaftsideale in völliger Reinheit und war frei von jeder Widersprüchlichkeit des Lebens und Alltags. Selbst Landschaften und Hintergründe mussten hell und ohne jegliche natürliche oder kulturelle Komplexität erscheinen. Das Besondere am homo albanicus war, dass er von keiner unterschobenen, auf Befreiung der Arbeiterklasse von allen Formen der Unterdrückung zielenden marxistischen Doktrin gestützt wurde. Diese Figur verschob eher die Aufmerksamkeit hin zur reinen Erzählung, in eine moralische Welt. Sie schuf ein neues Profil des „vollkommenen“ Individuums innerhalb „vollkommener“ gesellschaftlicher Ordnung. Um sich diesem Ziel anzunähern, entstand ein umfangreiches Netz von Kommunikationsmitteln, das Bildung, Künste und Literatur ebenso mobilisierte wie alle damals verfügbaren Kommunikationstechniken.

Der 1934 in Berat geborene Künstler Hasan Nallbani malte in seinem Bild The Action Worker (Die Aktionsarbeiterin, 1966) eine junge Frau, die sich den Brigaden angeschlossen hat und am Aufbau der ländlichen Regionen mitarbeitet. Das Bild war Teil einer entsprechenden Kampagne und lässt die genaueren Umstände einer wegbereitenden politischen und wirtschaftlichen Entscheidung dieser Zeit erkennen. Mitte der 1960er Jahre bildeten die Behörden große Arbeitsgruppen, um in der Stadt und auf dem Land eine moderne Infrastruktur zu schaffen. Unbezahlte Jugendliche – „Freiwillige“ genannt – wurden in ganz Albanien eingezogen und für die Dauer von zwei bis sechs Monaten auf Baustellen verschickt. Auch Künstler_innen, Schriftsteller_innen und Musiker_innen waren vorübergehend dabei, um Inspirationen zu sammeln und zu lernen, wie sie die „neue Realität“ im Land darzustellen hatten. Vor diesem Hintergrund erschließen sich in Nallbanis Gemälde einige Elemente ohne Schwierigkeiten. So trägt die Hauptfigur im Bild das Halstuch der „Aktionisten“, ein Kennzeichen aller Jugendlichen, die sich an dieser Freiwilligenarbeit beteiligten. Sie mussten es sorgfältig behandeln und mit Stolz tragen. Die junge Frau hält eine Hacke, mithin einen Hinweis auf die Art von Arbeit, die geleistet wurde, in diesem Fall der Bau von Infrastrukturen auf dem Land. Bekräftigt wird das durch die Landschaft im Hintergrund. Sie ist noch kahl, weist aber bereits Anzeichen ihrer Veränderung durch menschliche Arbeit auf. Vor allem aber sehen wir eine junge, mutige Frau, die sich voll Stolz für ihr Land und ihre Partei einsetzt und dem Blick der Betrachter_innen begegnet. Sie trägt das, was man damals als Männerkleidung betrachtete, und stellt somit überkommene soziale Hierarchien infrage. Erkennbar akzeptiert sie ihren neuen Stellenwert ohne Vorbehalte. Sie soll damit einen tiefer gehenden Wandel bezeugen, nämlich das Aufkommen derjenigen Menschentypen und gesellschaftlichen Beziehungen, die der Kommunismus angeblich nach Albanien brachte.

—Edi Muka

Gepostet in Öffentliche Ausstellung