Gernot Minke

Gernot Minke, Lehmsteinkuppel, Universität Kassel (1992), Höhe: 7 m, Spannweite: 5 m

Gernot Minke, Erde – Raum – Klang 2: Turm aus Lehm, 2017, Lehmziegel und Soundinstallation, Installationsansicht, Kunsthochschule Kassel, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Ein kuppelförmiger Lehmbau Gernot Minkes, der auf die Zeit des Architekten an der Universität Kassel in den frühen 1990er Jahren zurückgeht und heute noch neben der Kunsthochschule steht, erinnert an retro-futuristische Bilder von Buckminster Fullers berühmten geodätischen Kuppeln. Bedeutungsvollere Verbindungen ließen sich etwa zu weitaus älteren architektonischen Vorbildern herstellen, wie der großartigen mittelalterlichen Lehmarchitektur von Djenné in Mali, um nur ein Beispiel zu nennen. Minkes Kuppel war die erste, die mithilfe einer speziellen Rotationslehre entstand. In der Folge wurden weltweit über vierzig Kuppeln nach seinem Entwurf errichtet.

Minke wurde 1937 in Rostock geboren. Nach dem Studium der Architektur in Berlin und Hannover arbeitete er als Assistent des bahnbrechenden Architekten und Ingenieurs Frei Otto am Institut für Leichte Flächentragwerke an der Universität Stuttgart. Dessen revolutionäre Entwürfe für temporäre Ausstellungskonstruktionen hatten 1955 bei der Bundesgartenschau in Kassel – in deren Beiprogramm die erste documenta lief – einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Nach einer kurzen, aber einflussreichen Zeit als Dozent in Ulm – ein weiteres bedeutendes Zentrum architektonischer Gestaltung im Europa der Nachkriegszeit – zog Minke Mitte der 70er Jahre nach Kassel, wo er eine Stelle an der neu gegründeten Universität antrat. Diese hatte in der Zwischenzeit auch gleichgesinnte Querdenker wie den Soziologen Lucius Burckhardt und den Philosophen Ivan Illich angezogen. In Kassel konnte sich Minkes einzigartige Laufbahn als praktizierender Architekt mit Schwerpunkt auf Low-Cost-Wohnbau, ökologisch nachhaltiges Bauen und erdgebundene Bautechniken voll entfalten. Als Gründer des Forschungslabors für Experimentelles Bauen interessierte er sich insbesondere für das Bauen mit Lehm und Stroh – scheinbar unkonventionelle Materialien in einer von Stahl, Glas und Beton dominierten Epoche. (Der Kontrast zu der von Paul Posenenske ganz im Stil der Moderne beziehungsweise des Brutalismus entworfenen Kunsthochschule könnte größer nicht sein.) Was Minke an diesen Materialien interessiert, ist einerseits ihre uralte Tradition und andererseits der Einsatz handwerklicher Techniken. So ist es auch kein Zufall, dass sein Werk besonders in Südamerika auf positive Resonanz stößt (ein Großteil seiner Publikationen der letzten Jahre bezog sich auf den spanischsprachigen Raum): Die Globalisierung nachhaltiger Bauphilosophien rückt langsam, aber stetig an das Werk dieses Pioniers heran.

Minkes Beitrag zur documenta 14 besteht darin, dem Kasseler Lehmbau neues Leben einzuhauchen und diesen in eine Art Aufführungsort zu verwandeln – ganz im Einklang mit dem Interesse des Architekten an akustischen, vielleicht sogar therapeutischen Einsatzmöglichkeiten von Architektur. Ergänzt wird die Kuppel durch einen turmartigen Neubau aus Lehmsteinen, der jeweils nur für einen Besucher oder eine Besucherin zugänglich ist.

— Dieter Roelstraete

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook