Rebecca Belmore

Rebecca Belmore, Ayum-ee-aawach Oomama-mowan: Speaking to Their Mother (1991), Performance und Skulptur, Johnson Lake, Banff National Park, Kanada, 2008, courtesy Rebecca Belmore und Walter Phillips Gallery, Banff Centre, Kanada, Foto: Michael Beynon

Rebecca Belmore, Biinjiya'iing Onji (Von innen), 2017, Marmor, Installationsansicht, Filopappou-Hügel, Athen, documenta 14, Foto: Fanis Vlastaras

Rebecca Belmore, Biinjiya’iing Onji (Von innen), 2017, Marmor, Installationansicht, Weinberg-Terrassen, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Stimmen stehen im Mittelpunkt von Rebecca Belmores Arbeit, insbesondere solche, die zum Schweigen gebracht wurden. Aber sie verschafft auch jenen Gehör, die vertrieben wurden und die sich, wo immer sie können, stets aufs Neue ein Zuhause aufbauen müssen.

Am 10. März 1990 begann die sogenannte Oka-Krise. Sie zerriss die brüchige Fassade der moderaten kanadischen Gesellschaft und entblößte die dahinter liegende eitrige Wunde des Kolonialismus. Die Entscheidung des Bürgermeisters von Oka, einer frankokanadischen Gemeinde, einen Golfplatz von neun auf achtzehn Löcher zu vergrößern, endete in einer Pattsituation. Für die Gemeinde der Kanien’kehá:ka (Mohawk) in der nahe gelegenen Siedlung Kanehsatà:ke, deren Landrechte seit Beginn des 18. Jahrhunderts kontinuierlich beschnitten worden waren, brachte dieser Schritt das Fass zum Überlaufen. Ihre Frauen bildeten eine Kette, um die Bäume zu schützen, die über den Begräbnisstätten längst vergangener Zeiten wuchsen. Daraus entwickelte sich ein erbitterter Protest, der 78 Tage anhalten sollte. Die Stimmen der indigenen Völker, die die Reste ihrer Territorien verteidigten, wurden dabei von den Mainstream-Medien unterdrückt oder rundweg manipuliert.

Für Belmore war dies eine Gelegenheit, Widerspruch zu erheben. Als sich Kanada 1992, zwei Jahre nach den Protesten, daranmachte, das 500-Jahr-Jubiläum der Ankunft von Kolumbus mit einer Reihe von Aktivitäten zu „feiern“, leitete sie den Bau eines riesigen Megafons, bestehend aus exquisiten Holzfurnierintarsien mit dekorativen Motiven, Elchhäuten und kunstvoll geschnittener Lederverzurrung. Das Megafon reiste danach zu verschiedenen Gemeinden in ganz Kanada, zu jenen Menschen, die seiner am meisten bedurften. Seine Größe spiegelte das Ausmaß an Taubheit für die katastrophalen Probleme der indigenen Völker, und es verwandelte sich in ein flüchtiges Denkmal, das half, den Stimmen der Entrechteten Gehör und dem wachsenden Eintreten indigener Völker für ihre Rechte eine größere Plattform zu verschaffen.

In Athen hat Belmore, die 1960 in Upsala, Ontario, geboren wurde, nun erneut ein Denkmal auf Zeit geschaffen, auch diesmal unter Verwendung lokaler Materialien. Ihr handgemeißeltes Marmorzelt – ein auf immer längere Dauer angelegtes Zuhause für Flüchtlinge und Migrant_innen – steht für einen Zustand, der für viele einen permanenten Notfall, ein behelfsmäßiges Obdach darstellt. Seine Form verweist auch auf andere traditionelle Unterkünfte. Rebecca Belmore: „Die Form des Zelts erinnert mich an die Wigwam-Unterkünfte, die Teil meiner indigenen Geschichte sind.“ Wigwams (wiigiwaam in Anishinaabemowin), in althergebrachter Weise aus dem gebogenen Holz junger Bäume errichtet und mit Birkenrinde bedeckt, sind eine geschickte Möglichkeit, mit vorgefundenen Materialien zu bauen. Sie erlaubten es einem unablässig umherziehenden Volk, sein Zuhause zu errichten, wo immer es erforderlich war.

— Candice Hopkins

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook