Anna Halprin

Merce Cunningham performt auf Anna Halprins Tanzbühne, Kentfield, Kalifornien, 1957, © Lawrence Halprin

Anna and Lawrence Halprin, Partitur für Male und Female Dance Rituals, 1978, Installationsansicht, EMST – Nationales Museum für Zeitgenössische Kunst, Athen, Sammlung Museum of Performance + Design, San Francisco, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Anna und Lawrence Halprin, Fotografien und Archivmaterial zum Kentfield Tanzdeck, Kalifornien, 1954–2017, Installationsansicht, documenta Halle, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Anna Halprin, Archivmaterial, darunter Ausstellungskopien zu Animal Ritual, 1971, Installationsansicht, documenta Halle, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Anna Halprin, Installationsansicht, documenta Halle, Kassel, documenta 14, Foto: Mathias Völzke

Anna Halprins Tanzbühne entstand 1953/54 in Zusammenarbeit mit ihrem Ehemann Lawrence Halprin, einem Landschaftsarchitekten, Urban Designer und Ökologen, im Mammutbaum-Gebiet von Kentfield, Kalifornien. Dies ist der Ort, an dem die 1920 in Illinois geborene Künstlerin seit mehr als sechzig Jahren innovative Tanzstücke konzipiert und therapeutische Bewegungsrituale durchführt. Anna Halprin: „Ich begann einfach, all meine alten Muster abzuschütteln. Also musste ich neu anfangen, mit neuen Vorstellungen davon, was die Natur in mir ist und welche Überschneidungen es zwischen dieser Natur und meiner eigenen gibt. So begann ich, einen neuen Zugang zur Bewegung zu entwickeln.“

Die Bühne der Halprins stellte eine Art Landschaftspartitur dar und trug zur Herausbildung von Tanztechniken bei, die auf Beobachtung und Achtsamkeit basieren. Insbesondere die sogenannten task performances (auf gewöhnlichen Alltagsbewegungen beruhende Übungen) dienten dazu, die Aufmerksamkeit auf die Kommunikation zwischen Körper und Umgebung zu richten. Sie bildeten die Grundlage für eine Reihe von kollektiven Handlungen oder „Bewegungsritualen“ (wie Spaziergänge mit verbundenen Augen) und Workshops mit Studierenden, darunter Trisha Brown, Simone Forti und Yvonne Rainer. Die kinästhetische Erfahrung und das Gefühl der Gemeinschaft, das dieser Zwischen-Raum eröffnet, lassen sich auf die Anfänge des modernen Tanzes zurückführen.

Mit dem Bau der Tanzbühne wurde auch die künstlerische Zusammenarbeit selbst neu gestaltet. Inspiriert vom Bauhaus – Halprin hatte 1937 an der Harvard University fast alle ursprünglichen Bauhaus-Mitglieder kennengelernt – wurden Workshops mit bildenden Künstler_innen, Komponist_innen, Dichter_innen, Architekt_innen, Filmemacher_innen und Tänzer_innen aus der boomenden Kunstszene in San Francisco organisiert. Halprins Konzept des instant theater beschäftigte sich insbesondere mit neuen Formen der Kreation von Tanz, wozu auch der direkte Beitrag der Teilnehmenden gehörte. In dieser Hinsicht stellte der Übergang von der Choreografie hin zur kollektiven Kreativität einen entscheidenden Wendepunkt dar. Von Lawrence Halprin 1968 in eine systematische Form gebracht, beschreibt die RSVP-Feedbackschleife diesen kreativen Prozess anhand von vier Komponenten: resources (R, Ressourcen), scoring (S, Plan), valuaction (V, wertfreie Einschätzung) und performance (P, Darbietung). Angesichts der Watts-Unruhen in Los Angeles im Jahr 1965 etwa gründete die Künstlerin die erste Tanzgruppe in den USA, die Mitglieder unterschiedlichster Ethnien zusammenführte. Dabei bot der RSVP-Zyklus jeder Gemeinschaft die Möglichkeit, ihren eigenen Vorstellungen gemäß gesehen und gehört zu werden. In der Folge setzte Halprin ihre Arbeit mit ethnischen, sexuellen und lokalen Minderheiten (man denke an Male and Female Rituals, 1978) und HIV-positiven Menschen (Circle the Earth: Dancing with Life on the Line, 1989) fort. Auf ihrer Tanzbühne arbeitet Anna Halprin nach wie vor an ihrer Methode und hält jede Woche ein performance lab ab, wo Künstler_innen unterschiedlicher Disziplinen ihre schöpferischen Vorstellungen miteinander teilen, ehe sie sie in die Straßen und an andere öffentliche Orte tragen.

— Pierre Bal-Blanc und Lou Forster

Gepostet in Öffentliche Ausstellung
Auszug aus dem documenta 14: Daybook